Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe und andere Schmerzen

Liebe und andere Schmerzen

Titel: Liebe und andere Schmerzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hrg. Jannis Plastargias
Vom Netzwerk:
passieren konnte«, äffte er nun affektierten Tonfall und tuntige Gestik derjenigen nach, die es gewagt hatten, sich dermaßen schändlich gehen zu lassen. »Dabei esse ich doch am Tag gar nichts, nur ein Blättchen Salat vielleicht, und trinken tu ich, wenn überhaupt, nur ein Tässchen Luft – also von der Sahnetorte und dem fetten Braten mal abgesehen«.
    Er schnaubte aufgebracht, mein wütender Stier.
    »Und dann wundern die sich, dass sie so aussehen. Ehrlich, Mann, das kann doch nicht angehen! Ich hätte doch wieder in den Prenzlauer Berg fahren sollen, da wäre das nicht passiert.«
    Ich sagte zu allem nur noch Ja und Amen. Meine ganze Aufmerksamkeit galt dem eigenen Anziehen. Nur nachdem ich meine Brille aufgesetzt hatte, warf ich ihm noch einmal einen genaueren Blick zu und erkannte die vielen kleinen Fältchen rund um die Augen und die ersten grauen Haare auf seinem Kopf, die verrieten, dass auch an ihm das Alter nicht völlig spurlos vorbeigegangen war. Ich lächelte in mich hinein.
    Zum Glück hatte er das Ende seiner Strafpredigt erreicht, mit dem Anziehen war er fertig. Vor mir stand ein waschechter Bürohengst, in der einen Hand ein Aktenkoffer, in der anderen eine Designertasche für sein von zu Hause mitgebrachtes Handtuch und die Badelatschen. Mehr als ein Fick wäre also sowieso nicht draus geworden, kam es mir in den Sinn, ohne dass es ein Scherz gewesen wäre. In dieser Aufmachung widerte er mich mindestens ebenso sehr an wie meine labbrige alte Unterhose und das zerrissene T-Shirt, in das ich in der Zwischenzeit geschlüpft war, seinen Unmut erregten. Ohne sich zu genieren, rümpfte er bei meinem bekleideten Anblick ganz offen die Nase, ja, es schien seinen Ärger über den enttäuschenden Verlauf des Abends sogar noch ein letztes Mal so richtig anzustacheln.
    »Ich hätte wirklich in die Treibhaus-Sauna gehen sollen«, schimpfte er. »Das wäre zwar teurer gewesen, aber da wäre ich auf jeden Fall auf meine Kosten gekommen. Da achten die Typen wenigstens noch auf sich und ihr Äußeres.«
    Ich hätte wegen dieser Spitze beleidigt sein können, ich hätte meinen gesamten aufgestauten Frust jetzt an ihm auslassen können. Mein Abend – mein ganzer Tag – war doch mindestens ebenso enttäuschend verlaufen wie seiner, wenn nicht noch beschissener. Wahrscheinlich hätte ich sogar viel mehr Grund gehabt, auf ihn wütend zu sein, ihn als Zielscheibe für meinen Ärger zu benutzen. In mir rührte sich auch bereits die beleidigte Leberwurst und wollte sich lauthals darüber beschweren, warum der Kerl, der doch augenscheinlich alles hatte, sich so aufregte. Was hatte er denn wirklich verloren hier, das ihm wirklich wehgetan hätte? Aber ganz plötzlich war mein Ärger verraucht, eine ungeahnte, schöne Leichtigkeit erfüllte mich stattdessen. So etwas wie Friedfertigkeit überkam mich, eine gewisse Form von Empathie sogar. Warum sollte er nicht auch enttäuscht sein, nicht unbedingt wegen der paar Kröten, die er hier ausgegeben hatte, schließlich war auch er am Billigtag hergekommen, sondern wegen seiner Erwartungen, die er gehabt hatte? Warum sollte nicht auch er ernsthaft von einem prickelnden Abenteuer geträumt haben? Er war doch auch nur ein Mann – so wie ich. Was auch immer wir am Tage erlebt haben mochten, hier waren wir alle gleich: nackte Männer in Handtuch und Badelatschen, die darauf hofften, wenigstens im Dunst und Dunkel der Dampfsauna etwas zu ergattern, was nicht gar zu sehr nach Trostpreis aussah. Die Kunst war es eben, im Notfall auch mit diesem Trostpreis oder sogar mit den leeren Händen, wollte man diesen nicht, zufrieden zu sein.
    »Ach, nun nimm’s doch nicht so tragisch«, erwiderte ich. »Man kann eben nicht immer gewinnen.«
    »Was?«
    Er sah mich an, als hätte ich ihm gerade die Zehn Gebote vorgebetet.
    »Naja, das hier ist letztendlich doch nichts anderes als ein Glücksspiel, als eine große Lotterie«, erklärte ich ihm. »Wir kommen her, ohne im Vorfeld wissen zu können, was uns erwartet. Wir ziehen nur Lose und hoffen dabei auf einen möglichst großen Gewinn.«
    »Ach ja?«
    »Ja. Und zugleich übrigens sind auch wir selbst nichts anderes als ein Los im großen Topf, denn das hier ist nichts anderes als eine schwule Tombola in Handtuch und Badelatschen.« Ich strahlte ihn an, glücklich über die Metapher. »Wir alle spielen hier nichts anderes als die gute alte Dampfbadlotterie.«
    »Du spinnst«, sagte er und ging zum Ausgang.
    »Nein«, erwiderte ich

Weitere Kostenlose Bücher