Liebe und andere Schmerzen
grinsend. »Du magst mich nicht mal als Trostpreis gewollt haben heute – aber du wärst definitiv mein Hauptgewinn gewesen.«
Er blieb, die Klinke schon in der Hand, stehen und sah mich aus überraschten Augen an.
»Danke«, sagte er.
»Gerne«, antwortete ich.
Er zögerte einen Moment, ich wartete ab.
»Schönen Abend dir noch«, sagte er und verließ die Umkleide.
»Danke, dir auch«, rief ich ihm hinterher.
Er ging und schien meinen ganzen Groll mit sich zu nehmen. Gut gelaunt fing ich an, beim Rest des Anziehens zu trödeln, summte, rezitierte ein wenig aus dem Frühlingsspaziergang von Goethes Faust und schnitt ein paar Grimassen in den Spiegel, während ich mir abschließend die Haare kämmte. Ich mochte keinen guten Sex gehabt, nicht die nächste große Liebe gefunden haben an diesem Abend, aber meine Sorgen hatte ich trotzdem hinter mir gelassen. Und war ich nicht genau deshalb hergekommen?
Zufriedener als erwartet, ging ich nach Hause.
Elsa Rieger
EINMAL IST KEINMAL
I Klein und verwackelt, so wirkte Samira häufig auf mich. Mitten auf ihrer Nasenspitze saß ein Muttermal. Das linke Schulterblatt wie ein Flügel. Samiras Arme reichten bis zu den Knien, die Oberschenkel waren zu kurz geraten. Ihr Haar, braun und struppig, schimmerte im Sonnenlicht grünlich. Manchmal, wenn sie das Gefühl hatte, etwas besser dazustehen in der Welt, nannte sie sich »klein und grün«. Diese Momente gab es, wenn wir nach draußen fuhren und durch Wälder streiften. Da richtete sich Samiras kleiner Körper auf, ihr Atem stotterte nicht mehr aus der Brust heraus, sondern floss in gleichmäßigem Strom. Ohne das geringste ängstliche Schwanken, das sie in der Stadt heimsuchte, schritt sie sicher aus. Auf dem Heimweg in der Straßenbahn sank sie jedoch wieder in sich zusammen.
Samira ist meine beste Freundin seit dem Kindergarten. Schon damals war sie anders, was sie zum beliebten Opfer machte. Ich beschützte sie, wann immer es möglich war, und schlug mich sogar für sie. Ihr Liebling war neben mir Haustier Felix, ein Gecko. Er lebte in Samiras Schlafzimmer hinter ihrem wertvollsten Schatz, einer gerahmten, signierten Zeichnung von Jean Cocteau, die eine Szene aus dem Film »La Belle et la Bête« darstellte.
»Felix ernährt sich selbst«, grinste sie. Das Bild hatte ihr die Mutter vor ihrem frühen Tod geschenkt, ebenso die Zauberkraft. Sie sagte damals, dass sie »Weiße Hexen« wären, die mit Voodoo-Scheiß nichts am Hut hätten. »Eine Lebensversicherung, wenn nichts mehr geht!«
Meine Freundin knusperte ihr billiges Knäckebrot, verkroch sich daheim in ihrem verschlissenen Lehnsessel und las Tag und Nacht in den Büchern, die sie auf dem Flohmarkt erstanden hatte. Oberflächlich betrachtet, lebte sie von nichts. Im Nichts. Unter dem Existenzminimum. Ihr Halbtagsgehalt als Buchhalterin in einem kleinen Zuckerlgeschäft langte gerade für Miete und Heizung. Und das mit über vierzig! Ich war empört, aber auch beeindruckt, denn Samiras ethisches Bewusstsein stand der Verbesserung ihrer Lebensumstände im Wege. Sie war nicht käuflich, das war ihre Crux. Es hätte so einfach sein können, einen gewissen Wohlstand zu erreichen oder wenigstens die Verpackung zu ändern, in der ein hochgradig gebildetes Wesen wie sie steckte. Ein kleiner Hexenzauber und schon ... Aber sie weigerte sich strikt.
»Nur weil ich über magische Kräfte verfüge, heißt das noch lange nicht, dass ich Dinge tue, die mich korrumpieren könnten, Steffi«, sagte sie.
»Du würdest aber Menschen damit helfen und gleichzeitig Geld verdienen.«
»Tu ich nicht.«
»Kranke gesund machen?«, schlug ich vor.
»Dann würden sie sich Reichtum wünschen, oder ewiges Leben oder sonst einen Irrsinn. Es gibt kaum anständige Menschen auf der Welt. Sieh dich doch um«, antwortete Samira und beendete das Gespräch.
Ganz selten hexte sie aber dennoch. Das wusste ich, weil ich einmal dabei war. Ich hatte sie zu einem Stadtspaziergang überredet, wir standen vor einer Boutique, in der ein tolles grünes Etuikleid hing, dass ich gern gehabt hätte. Da kreischte eine Frau hinter uns: »Hilfe, meine Tasche!« Wir sahen den Dieb davonlaufen, Samira schnalzte mit den Fingern, und er fiel der Länge nach hin. Die Beute wurde ihm entrissen. Die Rentnerin war heilfroh, ihre Tasche wieder zu haben. Samira stritt zwar ab, etwas gedreht zu haben, aber ich wusste genau, dass sie es war.
Eines Tages verliebte ich mich rettungslos in Gerrit. Ein Bild von einem
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