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Liebe und Gymnastik - Roman

Liebe und Gymnastik - Roman

Titel: Liebe und Gymnastik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmondo de Amicis
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Groll auf die Natur, die ihn eigens für das kirchliche Amt geschaffen zu haben schien, und er hätte zwanzig Jahre seines Lebens dafür gegeben, anders auszusehen. Aber beim längeren Wachliegen erschöpfte sich sein erbittertes Verlangen allmählich und schwächte sich ab zu einem Gefühl liebevoller und demütiger Traurigkeit, wobei seine Fantasie von der verehrten Person abließ und sich mit ihren Sachen beschäftigte, die er nach und nach zu Boden hatte fallen hören. Ihm schien, es würde ihm genügen, diese zu besitzen, sie anzufassen, zu küssen, in sie hineinzubeißen, um Erleichterung zu finden. Er schlief fast gar nicht in dieser Nacht, wachte vor dem Morgengrauen auf und erwartete das gewohnte Geräusch, das sein durch Müdigkeit beschwichtigtes Verlangen mit aller Gewalt wieder aufzuwecken pflegte. Und tatsächlich, genau zu dem Zeitpunkt, zu dem die Pedani gewöhnlich aus den Bett sprang, hörte er das Klatschen ihrer nackten Füße auf dem Fußboden, der ihm durch und durch ging; er vernahm ihr gewohntes Rascheln beim Anziehen, dann das dumpfe Geräusch, wenn sie die Hanteln unter dem Bett hervorholte, denn sie machte jeden Tag gleich nach dem Aufstehen ein paar Übungen. Und diese letzte Vorstellung von den Armen, die fröhlich über ihrem Kopf durch die Luft wirbelten, gab schließlich den Anstoß zu einem kühnen Entschluss. Er wollte die Qual der Ungewissheit abkürzen, um halb acht vor der Wohnungstür auf sie warten und sie um eine Antwort bitten.
    Und tatsächlich erwartete er sie, und zu seinem Glück kam sie allein herunter. Er ging ihr entgegen, grüßte sie und fragte mit bebender Stimme: «Haben Sie mir nichts zu sagen?»
    Ruhig antwortete die Maestra: «Doch, nur eins. Ich habe Ihnen für Ihre wohlwollenden Gefühle zu danken.»
    «Sonst nichts?»
    «Nein, Herr Sekretär, sonst nichts», antwortete sie höflich und ging weiter.
    Da begann für ihn eine Reihe von sehr traurigen Tagen; wohl hatte er beschlossen, es mit einem förmlichen Heiratsantrag noch einmal zu versuchen, aber er begriff, dass es Wahnsinn gewesen wäre, dies gleich nach dieser Schlappe zu tun, ohne das Terrain vorzubereiten. Und unterdessen hagelte es Unannehmlichkeiten.
    Als Erstes war da Maestra Zibelli, die ihn von heute auf morgen nicht mehr grüßte. Das hätte ihn weniger gekränkt, hätte er gewusst, dass sie in eine dieser Phasen eingetreten war, in denen sie sich, von der Welt enttäuscht, in einer Art forcierter Begeisterung für ihre Aufgabe als Lehrerin von allem abschloss, sogar auf der Straße Schulbücher las, um nicht die Jugend und die Liebe zu sehen, die an ihr vorüberzogen, übereifrig in der Erfüllung ihrer Pflichten war, unerbittlich streng zu den Schülerinnen, den Eltern und Kolleginnen, zur ganzen Welt. Aber da Don Celzani das nicht wusste und den wahren Grund für diese Unhöflichkeit nicht kannte, vermutete er darin, gutmütig und freundlich, wie er allen gegenüber war, nichts als eine plötzliche Regung der Abneigung und fühlte sich davon zutiefst getroffen.
    Dann war da noch das seltsame Benehmen von Maestro Fassi. Als er ihm auf der Treppe begegnete, zeigte dieser ihm die Fahnen eines selbst verfassten Artikels mit dem Titel «Berlin gibt fürs Turnen eine halbe Million im Jahr aus». Er zog darin einen Vergleich zu Italien, wo insgesamt nur die Hälfte dafür ausgegeben wurde. Und dann brachte er das Gespräch plötzlich auf die Pedani: «Ein Prachtweib!», rief er. «Die wäre würdig, den schönsten Mann Italiens zu heiraten. Ich wette, dass Sie mit beiden ausgestreckten Armen nicht die zwei Hanteln halten können, die sie in nur einer Hand hält. Wer die heiratet, tut gut daran, sich vorher gründlich zu prüfen.»
    Was sollte denn das heißen? Vom Vergleich der Kräfte fühlte er sich nicht gekränkt: Seine einzige Sorge war die Disparität in der Schönheit, im Hinblick auf alles andere hatte er ein ruhiges Gewissen. Doch es beunruhigte ihn der Verdacht, der Maestro könne seine Absichten womöglich kennen.
    An einem anderen Tag berührte er noch einmal diesen Punkt. «Ich komme gerade von der Pedani, die sich eine neue Übungssequenz mit dem Jäger’schen Turnstab ausdenkt, für Mädchen. Die hat ja nur das Studium im Sinn, keinerlei Ablenkung durch Liebesabenteuer. Vielleicht auch, weil sie niemanden findet, der ihr gewachsen wäre. Ja, denn auch in der Liebe gilt similia cum similibus 22 , für Sie, der Sie Latein können. Aber wo soll man denn einen hernehmen, der ihr

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