Liebe und Gymnastik - Roman
nicht möglich: Ihre ganze Erscheinung, von Kopf bis Fuß, strafte die Gerüchte Lügen. Dieser ganze schöne Körper atmete den Stolz einer wehrhaften Jungfräulichkeit, wie durch eine Zauberrüstung heil und siegreich aus allen Anfechtungen hervorgegangen. Aber eine Stunde später kehrten die Zweifel zurück, und die Tortur begann aufs Neue.
Doch in diesen Tagen ereignete sich etwas, was den Sekretär zu einer plötzlichen Entscheidung drängte.
Als er eines Morgens Maestro Fassi traf, sagte dieser völlig unvermittelt zu ihm, so als setze er eine begonnene Rede fort: «Also diese Pedani! Was für eine Spartanerin! Ich habe es von meinem Kämmerchen aus gesehen: Da ist so ein armes kleines Ding, das rhythmische Bewegung bei ihr lernt, und sie gibt ihren Unterricht bei sperrangelweit offenem Fenster, bei dieser lausigen Kälte! Das ist eine fixe Idee von ihr, dass man Gymnastik an der frischen Luft treiben muss.»
Der Sekretär stellte im Stillen eilends eine Überlegung an: Wenn man vom Kämmerchen des Maestro aus das Zimmer der Pedani sehen konnte, musste man es von der Luke im Dachboden aus, die oberhalb des Kammerfensters lag, noch viel besser sehen. Sobald er allein war, kehrte er eilig ins Haus zurück, nahm den Schlüssel zum Dachboden und stieg mit großen Schritten die Treppe hinauf. Er schloss die Tür auf, ging gebückt unter den niedrigen Dachbalken zwischen Holz, kaputten Möbeln, Stapeln von Fliesen hindurch bis zur Dachluke, kletterte auf einen Holzstoß, legte sich der Länge nach darauf, streckte das Gesicht ins Freie und stieß einen Schrei der Lust aus. Das Zimmerfenster in der gegenüberliegenden Hauswand stand weit offen; die Pedani war der Schülerin zugewandt, die man nicht sah, kehrte dem Fenster also das Profil zu. Ihre volltönende Altstimme drang ganz deutlich bis zum Dach herauf.
«Aber nein», sagte sie, «so führen Sie mir keinen einfachen halben Hüpfschritt aus; Sie machen einen langen Hüpfschritt. Wir haben uns nicht verstanden. Noch einmal.»
Der Sekretär hörte den Schritt der unsichtbaren Schülerin.
«Nein», wiederholte die Maestra, «das ist immer noch zu übertrieben.»
Oh, diese schöne, tiefe, vibrierende Stimme, zu der man sich, auch wenn man sie nur mit geschlossenen Augen hörte, einen bewundernswürdigen Körper vorstellte!
Die Pedani schien auch mit dem zweiten Versuch nicht zufrieden, denn sie schüttelte heftig den Kopf. Und indem sie ungeduldig mit beiden Händen den Saum ihres schwarzen Rocks ergriff, um die Bewegung der Füße zu zeigen, sagte sie: «Schauen Sie her!», und führte den Schritt aus.
«Großer Gott!», stöhnte der Sekretär. Oberhalb der Stiefelchen sah er ein Weiß aufblitzen, das ihn blendete wie ein von einem Spiegel direkt ins Auge geworfener Sonnenstrahl, sein Blut wallte auf, und ihm wurde schwindlig, als ob man ihn auf den Kopf gestellt hätte. Es dauerte nur einen Augenblick, aber das genügte. Er hörte keine weiteren Anweisungen mehr, sprang von dem Holzstoß, schüttelte mit zitternden Händen die trockenen Blätter und kleinen Äste ab, und stets mit dieser gleißenden Vision vor Augen, durchquerte er fast rennend den Dachboden, eilte entschlossenen Schritts die Treppe hinunter, setzte sich in der Wohnung an sein Tischchen, nahm den Kopf in die Hände und sammelte sich. Es war sein unumstößlicher Entschluss, mit einem offenen und ausdrücklichen Heiratsantrag das Äußerste zu wagen.
Er hatte jedoch eine Pflicht, der er sich, wie er fühlte, nicht entziehen durfte: Zunächst musste er sich an den Onkel wenden, ihn um seine Einwilligung und seinen Rat bitten; auch aus dem Grund, weil ein Antrag, mit seiner Zustimmung, vielleicht sogar von ihm persönlich vorgebracht, eine ganz andere Wirkung haben würde. Zu diesem Zeitpunkt war Don Celzani derart verblendet von seiner Leidenschaft, dass ihm die Zustimmung des Onkels überhaupt nicht mehr zweifelhaft erschien. Schlimmstenfalls würde er nicht strikt ablehnen, würde zögern, noch einmal darüber nachdenken, kurzum, würde ihm Hoffnungen machen, die zu enttäuschen er dann nicht übers Herz bringen würde. Er legte sich also seine Rede zurecht, und als er den ersten Satz und den Gesamtaufbau fest im Kopf hatte, begab er sich mit ernster Miene, die Hände vor der Brust verschränkt, ins Zimmer des Commendatore und setzte sich ihm gegenüber. Nachdem er ihn um die Erlaubnis zu sprechen gebeten hatte, breitete er umständlich und mit bebender Stimme, die Augen starr auf die
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