Liebe und Gymnastik - Roman
gleichkommt? Sie verachtet mittelmäßige Männer. Und falls sie so unbedacht sein sollte, sich an einen solchen zu binden … der Ärmste!» Und er starrte den Sekretär an.
Aber dieser war auch diesmal verwirrt aus Angst, der Lehrer könne in seiner Seele lesen, nicht wegen dem, was er zu ihm sagte; im Gegenteil, das stachelte sein Verlangen nur noch mehr an, und fast wollüstig wiederholte er im Stillen die Worte.
Doch es gab Schlimmeres. Zwei- oder dreimal, während er der Pedani die Treppe hinunter folgte, sah er den Studenten Ginoni auf seinem Stockwerk aus der Wohnung treten, mit einem Gesicht, auf dem Eroberungsabsichten zu lesen waren; und jedes Mal, wenn er ihn erblickte, reagierte er verärgert und kehrte in die Wohnung zurück. Eines Morgens sah er ihn, wie er der Maestra in der Via San Francesco d’Assisi in einem gewissen Abstand nachlief. Das verursachte ihm regelrechte Schmerzen. Die Jugend, die Anmut und die Dreistigkeit dieses kleinen blonden Kerls bestürzten ihn zutiefst. Und er begann, ihn tagtäglich zu überwachen.
Aber den schlimmsten Kummer fügte ihm die Frau von Maestro Fassi zu. Schon seit einigen Tagen war sie auf der Suche nach ihm; eines Abends traf sie ihn in der Haustür und hielt ihn auf. «Wie geht es Herrn Fassi?», fragte er.
Sie antwortete mit ihrer weinerlichen Stimme, die klang, als käme sie aus einem von den inneren Organen erstickten Brustkorb, und rühmte wie üblich die großartigen Aktivitäten ihres Mannes. «Er ist oben und arbeitet, er stellt einen Vergleich an zwischen den Gehältern der Turnlehrer in Schweden und Italien. Denn das ist doch eine Schande, die ein Ende haben muss. Wenn man bedenkt, bei all dem Studium, das dazu nötig ist, werden die Gymnastiklehrer bezahlt wie kleine Angestellte, und obendrein gibt man ihnen nicht einmal den Professorentitel, wie ihn doch selbst die haben, die bloß das Kritzeln lehren. Wenn ich daran denke, bei seinem Talent und seinem Auftreten, was für eine Karriere er da hätte machen können! Denn Sie haben ja keine Vorstellung davon, was dieser Mann alles weiß. Und dabei wird er noch in jeder Weise gestört, von geschäftlichen Belangen, Besuchen. Da ist diese Maestra Pedani. Alle naslang ist sie da und bittet um Rat und Hilfe. Jetzt sagen Sie mir doch nur, ob sich das schickt, ein so freier Umgang eines jungen Mädchens mit einem Mann in der Blüte seiner Jahre; und dabei bin da ja noch ich: Denken Sie nur, wenn ich nicht da wäre! Da beurteile einer die Mädchen noch mal nach dem Anschein, den sie sich geben. Die könnte man ja für die Würde in Person halten. Tja, aber eine junge Frau, die unter dem Vorwand, sie habe etwas nicht verstanden, mitten im Unterricht aufspringt und den Professor fragt: ‹ Herr Professor, wo ist denn der Sympathienerv …? › , wie sie das letztes Jahr im Anatomiekurs getan hat, über die ist das Urteil gefällt.» Und nachdem sie sich mit einem raschen Blick der Wirkung auf Don Celzani versichert hatte, fuhr sie in einer Art und Weise fort, als seien das Dinge, die ihn überhaupt nicht beträfen: «Im Übrigen wäre da noch ganz anderes zu sagen. Diese jungen Lehrerinnen sind doch, bevor sie nach Turin kommen, durch ein halb Dutzend Gemeinden gezogen … Das kennt man ja, die Abenteuer der Lehrerinnen auf den Dörfern. Es gibt da eine Geschichte mit einer Kompanie Bersaglieri, die Anstoß erregt hat. Es wundert mich ja, dass man sie in Turin genommen hat. Aber sicher ist, dass sie in der Stadt bekannt ist und auf der schwarzen Liste steht. Basta! Meiner Meinung nach geht das nicht mehr lang gut, und wir werden noch schöne Dinge erleben oder erfahren.»
Danach zog sie über die anderen Nachbarn her, aber der Sekretär hörte nicht mehr zu, und obwohl er ihrer bösen Zunge misstraute, war er, als sie ihn verließ, völlig fassungslos. Die Vorstellung, diese junge Frau könnte eine dunkle Vergangenheit haben, löste in ihm unsägliche Bitterkeit, wütende Eifersucht und eine Qual aus, die ihn zerfleischte. Vor allem diese Kompanie Bersaglieri mit aufgesetzten Bajonetten verfolgte ihn eine Woche lang. Und noch mehr litt er, weil er sie seit einigen Tagen nicht zu Gesicht bekam. Besessen von dem Wunsch, Klarheit zu erhalten, diese grauenhaften Zweifel auszuräumen, hatte er niemanden, an den er sich hätte wenden können, und er wusste nicht mehr aus noch ein. Eines Morgens endlich traf er sie … und ein Großteil seiner Zweifel schwand, sobald er sie erblickte. Großer Gott, nein, das war
Weitere Kostenlose Bücher