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Liebe und Gymnastik - Roman

Liebe und Gymnastik - Roman

Titel: Liebe und Gymnastik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmondo de Amicis
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an den Mund und sah den Ingenieur an. Dann trank er den Wein in einem Zug aus, stand auf und antwortete verwirrt: «Der Herr Ingenieur beliebt zu scherzen. Es tut mir leid, dass ich nicht länger bleiben kann, aber ich muss sofort wieder hinauf zum Commendatore …»
    «O nein, mein Herr!», sagte Ginoni. «Ich gestatte Ihnen nicht, sich so davonzustehlen. Außerdem … können Sie jetzt nicht gehen, denn die Haustür bleibt bis elf Uhr offen, man weiß nie, wer einem da im Treppenhaus begegnet, und als Kavalier und höflicher Sekretär ist es Ihre Pflicht, die Signorina Pedani bis zu ihrer Wohnungstür zu begleiten.»
    Sofort setzte der Sekretär sich wieder. Der Student reagierte verärgert, weil er selbst gehofft hatte, der Begleiter zu sein.
    «Ich habe vor niemandem Angst», sagte die Maestra mit männlicher Stimme.
    «Es genügt nicht», entgegnete Ginoni, «keine Angst zu haben; man muss sie anderen einjagen, und dazu … sind Sie nicht imstande.»
    Der Student lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema, indem er die Pedani nach den großen Feierlichkeiten befragte, die für das Turnfest in Frankfurt 19 angekündigt waren, und sie gab ihm Auskunft. Das sollten die schönsten Feierlichkeiten werden, die jemals in Deutschland abgehalten wurden: Vertreter aus allen Ländern Europas sollten teilnehmen, darunter viele aus Italien. Sie beneidete die Glücklichen unter ihren Kollegen, die dieses weltweit einmalige Schauspiel sehen und die berühmtesten «Gymnasiarchen» in deutschen Landen kennenlernen würden – Kloss, Niggeler, Danneberg und den Urvater der Gymnastik, den berühmten Turnvater Jahn 20 , und andere –, wohingegen sie sich leider nicht einmal deren Porträts würde beschaffen können.
    Während sie sprach, durchbohrte der Sekretär sie von der Seite mit Blicken, tödlich eifersüchtig auf ihre scheinbare Vertraulichkeit im Umgang mit dem jungen Mann und zugleich untröstlich, all ihre Gedanken und Gefühle mit solcher Inbrunst auf die Gymnastik gerichtet zu sehen, dass kein Raum für die Hoffnung blieb, ihr Herz könne auch eine andere Leidenschaft in sich aufnehmen. Trotzdem leuchtete ein Hoffnungsschimmer in seinen Äuglein auf: die bange und zugleich ungeduldige Erwartung des Augenblicks, da sie aufbrechen und er sie begleiten würde.
    Er sprang vom Stuhl auf, als er sah, dass die Pedani sich erhob, um zu gehen.
    Doch der Ingenieur war grausam. «Wenn ich es recht bedenke», sagte er, während alle aufstanden, «der Herr Sekretär ist so schüchtern den Damen gegenüber, dass er imstande ist, die Maestra im zweiten Stock stehen zu lassen. Ich werde auch mitgehen.»
    Großer Gott! Das traf Don Celzani wie die Ohrfeige einer eiskalten Hand; doch er wagte kein Wort zu sagen. Und während sich alle verabschiedeten und der Student der Maestra die Hand gab, bemerkte er eine flüchtige Regung in ihrem Gesicht, als ob er ihr die Hand zu fest gedrückt hätte; und das war die zweite Ohrfeige für den armen Mann. Alle drei gingen hinaus und stiegen langsam die fast dunkle Treppe nach oben. Der Ingenieur machte weiterhin Witze, und zu seinem größten Kummer fand der Sekretär nichts, was er hätte einwerfen können. Mühsam ging er hinauf, machte halt, wenn Ginoni und die Maestra haltmachten, und blieb ab und zu etwas zurück, um diese schöne Erscheinung mit den Augen zu verschlingen, als könnte er aus ihrer Gestalt eine Antwort ablesen, oder um den Rücken seines Peinigers mit Blicken zu durchbohren. Als sie vor der Wohnungstür standen, wo das Gaslicht nicht hingelangte, zündete der Ingenieur ein Streichholz an, die Maestra läutete. Der Sekretär war bereit, den Abschiedsblick zu empfangen und zu deuten; und wirklich, beim Eintreten sah sie ihn an. Aber ach, dieser Blick sagte nichts. Und im gleichen Moment, als das Streichholz erlosch, erlosch auch seine Hoffnung.
    Aus seinem Schweigen schloss der Ingenieur auf Trauer aus Enttäuschung, und in der Dunkelheit unbefangener, sagte er ihm auf den Kopf zu: «Lieber Herr Sekretär, Sie sind in die Maestra verliebt.»
    Der Sekretär fuhr auf, leugnete, wurde ärgerlich, zeigte sich verwundert und beleidigt von diesem Scherz.
    «Aber warum denn?», fragte Ginoni halb ernst, halb spöttisch. «Wäre das vielleicht ehrenrührig, wenn es so wäre? Sie ist ein schönes und anständiges Mädchen, überaus originell, nicht das Übliche. Warum sagen Sie mir nicht die Wahrheit? Ich bin Ihnen ein guter Freund und könnte Ihnen gute Ratschläge geben. Ich bin ein

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