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Liebe und Gymnastik - Roman

Liebe und Gymnastik - Roman

Titel: Liebe und Gymnastik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmondo de Amicis
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Fin de Siècle und um die Jahrhundertwende erzählte Geschichten – immer auch von der Geschlechterordnung und konfrontiert die herrschenden Normen des Männlichen und Weiblichen mit alternativen Modellen. Dies wird ebenfalls mit den Mitteln der Komödie durchgespielt. Die Romanze zwischen Celzani und Pedani ist ja gerade deshalb so komisch, weil die beiden in komödienhafter Spiegelverkehrtheit aufeinander bezogen sind. Beide entsprechen nicht dem Geschlechterstereotyp der Zeit: Pedani ist dazu nicht feminin und Celzani nicht maskulin genug; sie ist nicht die zärtliche, mütterliche Frau, er kein Mannsbild. Wo die mythische Heimat der Amazone Sparta ist, ist die des unsportlich geruhsamen Sekretärs Sybaris, die antike Stadt Cumae im Magna Graecia Süditaliens, die sich ganz der verweichlichenden Muße hingegeben hatte und daran zugrunde gegangen war. Auch die beiden Schlüsselbegriffe des Titels erscheinen in spiegelverkehrter Geschlechterorientierung: Die Liebe und die zarteren Gefühle, die als Domäne des Weiblichen galten, gehen hier zunächst allein vom männlichen Partner aus, während die Gymnastik und der Sport, traditionell mit der Körperkraft des Mannes verbunden, vor allem von der Protagonistin betrieben werden. Der gemeinsame Fluchtpunkt dieser Abweichungen des «Mann-Weibs» und des «effeminierten Mannes» von der festgeschriebenen Polarität der Geschlechter ist die Androgynie, eine zentrale Dimension der Geschlechterdiskurse des Fin de Siècle, die die herkömmliche bürgerliche Ordnung von Mann und Frau samt der Unterordnung der Frau unter den Mann in Frage stellte. Die Pedani entspricht dabei dem Typ der «unwomanly woman» , der unweiblichen Frau, den zur selben Zeit G. B. Shaw in England auf die Bühne brachte.
    Celzani und Pedani korrespondieren auf einer weiteren Ebene miteinander: Beide haben ein gestörtes Verhältnis zur Sexualität. Der mit seinen über dreißig Jahren noch jungfräuliche Ex-Seminarist verbirgt hinter seinem scheuen und gehemmten Auftreten ein «äußerst lebhaftes physisches Temperament, eine starke Sinnlichkeit», auch wenn er diese nur in voyeuristischer Augenlust und erotischen Fantasien über das angebetete Objekt seiner Triebe auslebt; die keusche Gymnastin weiß dagegen nichts von ihrem sexuellen Begehren bzw. will nichts davon wissen, auch wenn sie ihre erotische Ausstrahlung und die darauf beruhende Macht über andere durchaus, und mit einer gewissen sadistischen Lust, genießt. Erst ihre kräftige Umarmung und ihr leidenschaftlicher Kuss am Ende machen offenkundig, was gerade ihr bisher verborgen geblieben war.
    Dass dieses so ironisch präsentierte Happy End in die Ehe der beiden führen wird, zeichnet der bürgerliche Verhaltenskodex vor; dass diese Ehe aber allem widersprechen wird, was in England etwa John Ruskin über die ideale Ehe geschrieben oder De Amicis selbst in Cuore vorgeführt hat, machen die Lebens- und Zukunftsperspektiven des Paars mehr als deutlich: Er wird auch verheiratet nicht in der großen Welt seinen Mann stehen, sondern die Rolle des Hausmanns spielen, der sich um das gemeinsame Heim und die wachsende Kinderschar kümmert; und sie wird sich nicht ins intime Reich der Familie zurückziehen, sondern weiterhin als Gymnastiklehrerin und -propagandistin im öffentlichen Raum ihren Lebenssinn und ihre Selbstbestätigung suchen. In dieser Geburt eines alternativen Ehekonzepts aus dem Geist von Liebe und Gymnastik, aus der komödienhaften Konjunktion von amore und ginnastica , zeichnet sich im späten 19. Jahrhundert schon eine alternative eheliche Arbeitsteilung ab, die auch heutzutage noch ein Experimentierfeld der Familienplanung ist.
    Manfred Pfister

Titel der italienischen Ausgabe:
    «Amore e ginnastica» (1892)
    Copyright © 2013 by Manesse Verlag, Zürich
    in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
    ISBN 978-3-641-09115-6
    www.manesse.ch

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