Liebe und Gymnastik - Roman
er seit ein paar Tagen den Verdacht hegte, dass sein Sohn mit der Unverfrorenheit, die er an ihm kannte, die Maestra auf der Treppe abpasste. Die musste sich mit Beschwerden bei ihm bis jetzt zurückgehalten haben, einzig und allein, um ihm keinen Ärger zu verursachen. Er hielt es für einen guten Schachzug väterlicher Politik, zwischen dem Sohn und ihr ein Hindernis zu errichten.
Als er am folgenden Morgen aus der Wohnung trat, traf er auf dem Treppenabsatz die Pedani, die sich dort mit seinem Dienstmädchen aufhielt und ihr zur Bekämpfung von Frostbeulen gewisse Gymnastikübungen empfahl. Baumann war der Erste gewesen, der herausgefunden hatte, dass Gymnastik diesem Übel vorbeugen konnte. In dieser Sache wusste sie sehr gut Bescheid.
Beim Anblick des Herrn kehrte das Dienstmädchen in die Wohnung zurück, und dieser begrüßte die Maestra wie üblich auf scherzhafte Weise: «Nieder mit der Gymnastik!»
Sie antwortete im selben Ton: «Nieder mit den Förderern von Lymphatismus und Rachitis!»
Der Ingenieur lachte und ging mit ihr die Treppe hinunter. Dann blieb er stehen und fragte mit leiser Stimme: «Aber wie können Sie nur so ruhig sein, während es Unglückliche gibt, die Ihretwegen den Tod und die Qualen der Passion durchleiden?»
Starr sah sie ihn an und fragte: «Wer hat Ihnen das gesagt?»
«Derjenige, der es Ihnen geschrieben hat.»
«Wenn das so ist», sagte die Maestra gleichgültig, «sprechen wir besser von etwas anderem.»
«Wie? Sie wollen nicht einmal von ihm reden hören?», fragte der Ingenieur. «Keine Spur von Mitleid? So sehr verhärtet die Gymnastik die Herzen?»
Nein, entgegnete sie, sie habe kein hartes Herz: Es sei besetzt. Sie sei beherrscht von einer einzigen Leidenschaft und habe beschlossen, dieser ihre ganze Jugend zu weihen. In jedem Fall werde sie sich nur an einen Mann binden, der bereit sei, sein Leben demselben Ziel zu widmen. Und schlicht sagte sie: «Wer mich heiratet, wird große Gymnastik machen.»
Der Ingenieur grinste verstohlen, musterte die Maestra mit einem Blick und sagte: «Das glaube ich.» Dann fragte er: «Dann ist das Schicksal des Unglücklichen unwiderruflich besiegelt?»
«Von mir», entgegnete sie, «hängt niemandes Schicksal ab. Und damit genug.»
«Amen!», murmelte Ginoni.
Schweigend gingen sie die letzten Stufen hinunter.
«Und doch», sagte der Ingenieur an der Haustür, «Sie denken noch daran.»
«Ach was!», erwiderte die Pedani. «Ich dachte an etwas völlig anderes. Ich dachte daran, dass den Mädchen zu wenig Bewegung der unteren Gliedmaßen erlaubt wird. Da sehen Sie mal!»
Der Ingenieur brach in Gelächter aus, und zum Abschied rief er ihr noch zu: «Nieder mit Sparta!»
Und sie antwortete, sich umwendend: «Nieder mit Sybaris 23 !», und eilte mit großen Schritten auf dem Gehweg davon.
Don Celzani war zutiefst verletzt von der Antwort, die ihm der Ingenieur, wenn auch nur in etwas abgemilderter Form, wiedergab; und es tröstete ihn keineswegs dessen Ermunterung, nicht aufzugeben, wobei er wieder den Vergleich mit der Mine mit der langen Zündschnur heranzog, die später ganz zweifellos losgehen würde.
Da verfiel Celzani in einen qualvollen und erbarmungswürdigen Zustand. Er lauerte der Maestra auf, um ihr zu begegnen oder ihr nachzulaufen, wenn sie ausging oder nach Hause kam, und da die Verzweiflung seinen Mut vergrößerte, warf er ihr jedes Mal einen langen, forschenden und flehenden Blick zu. Dabei zog er den Hut wie ein Bettler, der um der himmlischen Barmherzigkeit willen ein Lächeln erbittet. Ihr Verhalten ihm gegenüber war stets gleichbleibend, sie grüßte höflich, desinteressiert, ohne es zu betonen, ließ nicht erkennen, dass sie bemerkte, wie er sie hinter dem Eingang abpasste, sich hinter Pfeilern versteckte, an Mauerecken, in der Portiersloge, und wie er dastand und ihr nachstarrte, wenn sie vorüber war. Sie begriff allerdings, dass die Leidenschaft in dem armen Mann von Tag zu Tag heftiger loderte. Doch gab es da ein neues Motiv, von dem sie nichts ahnen konnte. Ihre Reputation wuchs. Ein Artikel von ihr über Pier Enrico Ling, den Begründer der schwedischen Gymnastik, 24 veröffentlicht im «Nuovo Agone», kurios wegen seines Themas und wegen der hervorstechenden Forschheit des Stils, vor allem in der Beschreibung der Übungen an den Schwungleitern und an der Sprossenwand, war von einer Turiner Tageszeitung nachgedruckt worden und hatte ein gewisses Aufsehen erregt. Eines Abends hielt sie beim Verein
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