Liebe und Marillenknödel
war unten im Tal. Aber das ist ja auch egal. Alrein ist wunderschön, so oder so.
Oh. Was ist das? Warum hört denn hier die Straße plötzlich auf? Ich meine, sie hört natürlich nicht auf, sondern geht weiter, in Form zweier steiniger Reifenspuren. Nicht, dass ich großer Spezialist in Sachen Straßenverkehrsordnung wäre, aber das Schild, vor dem ich stehe, ist eindeutig rund, weißer Grund mit einem roten Kreis.
Mist. Das hatte ich irgendwie anders in Erinnerung. Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke, fällt mir ein, dass wir, wenn wir früher mit dem Zug ankamen, immer von einem Jeep abgeholt wurden, der uns dann hinauf nach Alrein brachte. Stimmt. Schon damals kamen die Gäste zu Fuß an, oder mit dem Fahrer aus dem Tal. Und nach der Beerdigung von Onkel Schorschi hat Tante Johanna Jan und mich in ihrem Wagen mit nach oben genommen.
Ich überlege.
Ich könnte versuchen, einfach weiterzufahren und zu sehen, wie weit ich komme. Andererseits sieht die Strecke steil aus. Und schmal. Wenn mein Polo es nicht schafft, stehe ich blöd da.
Oder ich fahre zurück zu diesem Parkplatz, an dem ich vorhin vorbeigekommen bin, packe Sachen für eine Nacht, laufe hoch und hole morgen mit Tante Johannas Panda das restliche Gepäck ab. Falls der Panda noch dort oben ist. Falls überhaupt jemand dort oben ist.
Ich blicke mich um und stelle fest, dass es hier definitiv zu wenig Platz zum Wenden gibt. Na, toll. Die Serpentinen wieder runter, und das rückwärts. Bevor ich losfahre, atme ich noch einmal durch, lehne mich zurück und starre auf den Berg, der sich vor meiner Frontscheibe auftürmt. Ein echtes Monstrum, dessen Gipfel sich in Nebel hüllt. Dann lege ich den Rückwärtsgang ein und schiebe mich mit feuchten Händen Kurve um Kurve den Berg hinab, bis im Rückspiegel endlich dieser Parkplatz von vorhin erscheint. Puh, bin ich erleichtert. Ich wische mir die Hände an der Hose ab, scheine dabei aber zu vergessen, mit dem Fuß auf der Bremse zu bleiben, denn plötzlich höre ich, wie hinter mir ein verdächtiges Geräusch ertönt.
Ich zucke zusammen. Na klar. Schon vor der Ankunft mal wieder alles kaputt gemacht.
Ich schalte den Motor ab, ziehe die Handbremse, krabble vom Fahrersitz und gehe um das Auto herum. Unter dem Wagen liegt ein Stecken aus Holz, an dem eine Tafel festgeschraubt ist. Ich ziehe das Schild heraus und lese eine ungelenke Handschrift: Nach Alrein: Taxi-Messner, dazu eine Telefonnummer. Auf der kleineren Tafel darunter steht, offensichtlich von derselben Hand geschrieben: Auch zum Alpine Relax.
Jetzt fällt es mir wieder ein. Es war nicht einfach irgendein Jeep, der uns früher nach Alrein hinaufgebracht hat, sondern ein uraltes Männlein mit Tirolerhut und Hosenträgern, eben der Taxi-Messner. Tante Johanna hat behauptet, er sei ein Onkel von Reinhold Messner, der sich darauf verlegt hat, nur noch auf den Fahrersitz zu kraxeln und den Rest mit dem Wagen zu machen.
Wenn ich nicht so erschöpft wäre, würde ich vor Freude, seine Telefonnummer entdeckt zu haben, einen Luftsprung machen, aber meine Beine sind so schwer, als hätte mir jemand die Füße eingegraben. Ich lehne das Schild an einen Felsen und tippe die Nummer in mein Handy, befürchte einen Moment, kein Netz zu bekommen, doch dann klingelt es, und ich bestelle bei einer Frau, die klingt, als hätte sie Murmeln im Mund, einen Wagen zu dem Parkplatz oberhalb von Sankt Damian.
» Zum Alpine Relax?«, fragt sie.
» Nein«, antworte ich. » Nach Alrein.«
» Oh«, erwidert sie, » isch gut.«
Ich packe meinen Kram zusammen und sehe dreimal nach, ob ich auch wirklich nichts vergessen habe. Oben in Alrein festzustellen, dass das Handyladekabel unten im Auto liegt, wäre eher ungünstig, denn wer weiß schon, wann ich das nächste Mal ins Tal komme. Ich kontrolliere, ob die Zentralverriegelung tatsächlich alle Türen verschlossen hat, dann verabschiede ich mich von meinem Wagen. Adieu, Liebes, sage ich, obwohl ich normalerweise nicht zu den Menschen gehöre, die zärtliche Gefühle für technische Gerätschaften entwickeln. Aber irgendwie ahne ich, dass das hier ein Abschied von der Zivilisation ist, von Fernsehen und Radio, vom Internet und meinem MacBook Pro, das ich in Hamburg in der Schublade meiner Wäschekommode zurückgelassen habe – nicht nur, um einen Schnitt zu machen, sondern auch, weil ich wusste, dass Tante Johanna sich immer gegen einen Internetanschluss gewehrt hat.
Als ich mich gerade innig gegen die Kühlerhaube lehnen
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