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Liebe und Marillenknödel

Liebe und Marillenknödel

Titel: Liebe und Marillenknödel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Sternberg
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wieder eine solche Situation wie die neulich am Morgen.
    Immer wieder spielt sich die Szene in meinem Kopf ab: Wie der Typ sich mit zerzaustem Schopf in meinem Bett aufrichtet und wie amüsiert seine Augen blitzen, als er mich nach Kaffee fragt.
    In diesem Augenblick ist mir endgültig klar geworden, dass ich nicht mehr Herrin meines Lebens bin. Ich meine, ich hatte gerade meinen Job und meine Großtante verloren und fand aus heiterem Himmel einen Typen mit Riesennase in meinem Bett vor, der es offensichtlich total witzig fand, so zu tun, als würden wir schon seit Jahren zusammenwohnen, während mir zu ihm nichts weiter einfiel, außer, dass sein Name vermutlich nicht Johannes war.
    Ich atmete tief durch und verlor trotzdem fast die Stimme, als ich mit der Liebenswürdigkeit eines Fahrkartenautomaten krächzte: » Guten Morgen. Du musst jetzt leider gehen.«
    Das Lächeln des Typen erlosch und über sein Gesicht huschte ein Ausdruck, der enttäuscht oder wütend oder beides gleichzeitig war.
    » Verstehe«, sagte er, und ich Idiot antwortete: » Na, dann ist ja gut.« Ich benahm mich wirklich wie das letzte Arschloch und verließ das Zimmer, um ihm nicht auch noch seine Unterhose reichen zu müssen, die es im Laufe der Nacht irgendwie geschafft hatte, sich über die Kugellampe auf meinem Fensterbrett zu stülpen.
    Ich setzte mich in die Küche, streckte die Beine von mir und starrte bewegungslos einen neuen blauen Fleck auf meinem Oberschenkel an. Er hatte die Form von Indien, ohne Sri Lanka.
    Ich hörte, wie der Typ den Flur entlangstürmte, und hoffte nur eines: dass er jetzt nicht wirklich einen Kaffee wollte. Doch dann hörte ich, wie er in seine Schuhe schlüpfte, die Wohnungstür öffnete und mit Schwung zuschlug.
    Eine Fliege ließ sich auf dem Rand meiner Tasse nieder, aber ich war unfähig sie fortzuwedeln, so als sei ich innerlich gelähmt.
    Seitdem habe ich ununterbrochen das Gefühl, dass ich ganz weit weg muss, um wieder zu lernen, wie man sich bewegt. Ich komme mir vor, als sei mein Leben ein Fahrrad, auf dem ich eine Alpenpassstraße hinuntersause, und ich hätte vergessen, wie die Bremsen funktionieren.
    » Pünktchen?«
    Die Stimme meines Vaters reißt mich aus meinen Gedanken.
    » Ja?«, antworte ich.
    » Was ist? Willst du dort wirklich hin?«
    Mir fliegt mein ganzes Leben um die Ohren, wie eine Tischbombe mit Konfetti darin. Mir fällt nicht einmal mehr eine Weisheit aus einem meiner Ratgeber ein, und die einzige Reaktion, zu der ich noch fähig bin, ist die Halsmuskulatur anzuspannen und meinen Kopf so zu bewegen, dass es aussieht wie ein Nicken.
    Und während ich nicke, merke ich, dass es stimmt. Ich will nach Alrein. Ich will. In Alrein werde ich Gelassenheit und Ruhe finden. Und Schönheit. Und mich selbst, ich bin mir nämlich irgendwie abhandengekommen.
    Mein Vater seufzt, dann breitet er die Arme aus und drückt mich an sich. Er ist wahnsinnig warm und weich, und wie immer, wenn er mich umarmt, habe ich das angenehme Gefühl, ich könnte in ihm versinken.
    » Ich muss wieder rein, sonst kommt deine Mutter und sucht mich.«
    Wir ziehen beide dieselbe Grimasse. Plötzlich muss ich daran denken, wie es früher war, wenn meine Mutter ihm manchmal befahl, seine väterliche Pflicht zu tun und mir den Hintern zu versohlen. Wie er in mein Zimmer kam, mir ein Kissen auf den Po legte und mir den Auftrag gab, im Rhythmus seiner Klapse um Gnade zu flehen. Manchmal habe ich es hinbekommen, dass mein Lachen so klang, als würde ich flennen.
    » Willst du nicht mehr mit reinkommen?«
    Ich schüttle den Kopf.
    » Mach dir keine Sorgen«, sagt er. » Ich beruhige sie schon irgendwie.«
    » Danke«, sage ich, denn ich bin ihm wirklich dankbar, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass es ihm gelingt.
    Er kramt in seiner Hosentasche und drückt mir einen zusammengeknüllten Schein in die Hand.
    » Nimm dir bitte ein Taxi«, sagt er, und ich rolle mit den Augen, so wie früher, wenn er mir befahl, im Winter eine Mütze aufzuziehen. Erst als ich eine Viertelstunde später den Taxifahrer bezahlen will, merke ich, dass es fünfhundert Euro sind.
    Ich krame das Fahrgeld aus meinem Portemonnaie zusammen, steige aus dem Wagen, den Schein mit der Hand fest umschlossen. Ich lege den Kopf in den Nacken und sehe nach oben, dorthin, wo die Dächer aufhören und der Himmel beginnt. Mit einem Mal könnte ich schreien vor Glück.
    Ich schließe die Haustür auf und nehme die Treppe, zwei Stufen auf einmal. Mein Herz

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