Liebe und Marillenknödel
hüpft, und ich muss fast lachen.
Südtirol, ich komme!
6
Höher und höher schlängelt sich mein Polo hinauf. Inzwischen ist die Straße so steil, dass es sich anfühlt, als würde ihn das Gepäck im Kofferraum rückwärts nach unten ziehen. Hin und wieder muss ich in den ersten Gang zurückschalten und schaffe es trotzdem nur mit Ach und Krach um die Kurve. Gerade habe ich Sankt Damian hinter mir gelassen, einen kleinen Ort in 1000 Metern Höhe. Jetzt kommen nur noch ein paar Gasthöfe und Almen – und Alrein. Ein letztes Haus zieht an mir vorbei, es hat sich flach in den Hang geduckt, die Balkone quellen vor Geranien fast über. Fast alle Häuser sehen hier so aus: Fensterläden aus Holz, üppig bepflanzte Blumenkästen und ein altmodischer Schnörkelschriftzug auf der Fassade – die Namen lauten » Huber« und » Sonnenheim«, » Haus Enzian« und » Marielouise«. Alrein ist anders, das weiß ich noch, und noch sicherer weiß ich es, seit ich gestern ein Bild im Internet gesehen habe.
Je näher ich dem Gasthof komme, umso stärker spüre ich mein Herz klopfen. Seit ich den Brenner überquert habe und endlich in Italien bin, bin ich so unruhig, dass meine Hände zittern.
Ich übernehme einen Gasthof! Und nicht nur irgendeinen, sondern einen der schönsten Gasthöfe Südtirols, ach was, Mitteleuropas! Wenn man sich mal vorstellt, wie viele Menschen bis zum Renteneintrittsalter davon träumen, irgendwo in attraktiver Lage eine gemütliche, kleine Pension aufzumachen! Und ich tue es!
Worauf ich mich am meisten freue, ist die Stille, die da oben herrschen wird. In Alrein gibt es aus Prinzip kein Fernsehen und kein Radio, und nur ein einziges Telefon, ein kleiner Festnetzapparat, der leise gestellt auf Tante Johannas Schreibtisch steht. Und niemand aus Hamburg hat die Nummer!
Am zweitmeisten freue ich mich auf die Gäste. Nach Alrein sind immer ganz besondere Menschen gekommen. Menschen, die Ruhe suchen und wissen, dass man die am besten bei Freunden finden kann. Darum hat sich Tante Johanna auch immer bemüht: dass Alrein nicht einfach nur eine Pension ist, sondern ein Haus für Freunde, in dem die Gäste auf herzlichste Art und Weise in Ruhe gelassen werden.
Und auf Südtirol selbst freue ich mich auch. Die Region ist genau die perfekte Mischung. Es ist Italien, aber alle sprechen deutsch, und es gibt fast keine Italiener, die lärmend durch die Gegend gockeln und versuchen, durch ausgefuchste Tollenkonstruktionen so viel Gel in die Haare zu kriegen, dass du sie endlich küsst.
Obwohl, jetzt im Augenblick freue ich mich in erster Linie auf ein Bett, denn ich bin fast zwei Tage lang Auto gefahren. Gestern über acht Stunden von Hamburg zu meiner Freundin Vera nach München, heute von München nach Südtirol, noch einmal fast vier Stunden. Ich ganz allein in meinem kleinen Polo, zwei Koffer voll Klamotten und einen Kleidersack im Kofferraum.
Ich habe gepackt, ohne eine genaue Vorstellung zu haben, was mich da oben erwartet. Mit dabei sind deshalb Schuhe in unterschiedlichen Bequemlichkeitsgraden: Turnschuhe, Ballerinas, halbhohe Schuhe, Chucks, außerdem ein Paar Sandalen mit Zwölf-Zentimeter-Keilabsatz, aber die sind nur deshalb mit von der Partie, weil Vera und ich uns für den Abend in München verabredet hatten – na gut, und weil man ja nie weiß, ob nicht auch die Alpengesellschaft einmal einen gewissen Grad an Attraktivität von einem verlangt. Ähnlich gemischt setzt sich der Rest meiner Garderobe zusammen. Alte Jeans, zwei Kostüme, eine dicke Jacke, mehrere Sommerkleider, darunter eines mit Blockstreifen und eines mit Punkten, und ein kleines Schwarzes, das zu den Keilsandalen passt. Ich habe auch extra ein zauberhaftes Kittelkleidchen von A.P.C. erstanden, das sicher ganz reizend aussehen wird, wenn ich die Gäste begrüße.
Nur Wanderschuhe zu besorgen, das habe ich nicht mehr geschafft. Gut, geschafft hätte ich es natürlich schon, aber als ich dann bei Sport Scheck vor der Auslage stand und diese Klumpschuhe mit Climaproof-Funktion, Flexkerben, Shock-Absorber-Fersen und Galoschen aus Polyurethan sah, fiel mir ein, dass ich ohnehin keine Zeit haben würde, sie einzulaufen.
Außerdem habe ich nicht vor zu wandern. Ich mache eine Pension auf. Na gut, sie hat bereits geöffnet, aber trotzdem, es fühlt sich so an, neu und fremd und kribbelig.
Oh, oh. Rechts von mir geht es ungefähr im 89-Grad-Winkel bergab. Ich bin so aufgeregt, ich darf gar nicht hinunterschauen. Und ja, zugegeben, die
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