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Liebe und Marillenknödel

Liebe und Marillenknödel

Titel: Liebe und Marillenknödel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Sternberg
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etwas?«, frage ich.
    » Ähm, Frau von Hardenberg …«
    Er hebt den Kopf und sieht mich an, seine Augen sind ganz glasig. Ich glaube aber nicht, dass er getrunken hat. Ich glaube, auch er kämpft mit den Tränen. Von irgendwoher höre ich jetzt Frau Jirgl schluchzen.
    Ich fürchte, jetzt wächst mir die Sache doch ein bisschen über den Kopf. War ich möglicherweise zu hart zu den beiden?
    » Ja?«, frage ich unsicher.
    » Frau von Hardenberg, bitte … Wir, meine Frau und ich, wir …«
    Er stockt, dann senkt er den Blick wieder.
    » Was ist denn?«, frage ich und mache einen Schritt auf ihn zu, ganz automatisch, obwohl ich das gar nicht will.
    » Die Schwiegermutter, also die Mutter von meiner Frau … also, der ihr Mann is letztes Jahr gestorben, am Herzkasper. Sie is ganz allein, und ihr geht’s ned guad, und … na ja. Sie is drauf angewiesen, dass ihr jemand a bissl unter die Arme greift. Jetzt ned nur finanziell, aber schon auch. Also, was ich sagen möcht … Im Augenblick sind des wir.«
    Er guckt mich an, flehend. Er sieht wirklich richtig elend aus.
    » Was hat sie denn?«, frage ich vorsichtig.
    » Alzheimer«, antwortet er leise. » Bitte, entlassen Sie uns nicht. Wir geben uns Mühe, versprochen. Wir brauchen das Geld.«
    Eine kranke Mutter, wer hätte das gedacht. Jetzt wird mir natürlich so manches klar.
    » Ist das auch der Grund, warum Sie so oft ins Tal müssen?«
    Er nickt.
    » Die Diakonie kommt morgens und wäscht sie und bringt sie abends ins Bett, aber wenn tagsüber mal was ist, oder wenn sie zum Arzt muss … und sie kann ja auch nicht den ganzen Tag alleine bleiben! Wissen Sie, sie …«, sein Zeigefinger kreist um seine Schläfe, » sie hält das nicht aus.«
    Er klingt, als würde er gleich anfangen zu flennen.
    Mann, das tut mir leid. Sarahs Großmutter hatte A lzheimer, da habe ich mitgekriegt, wie schrecklich und anstrengend und wahnsinnig intensiv das sein kann. Alles, was die arme Frau an üblen Sachen erlebt hat, im Krieg und später, war plötzlich wieder da. Sie hatte ständig Angst und schrie nach ihrer Mutter.
    » Sie Armer«, sage ich leise.
    Er sieht mich zerknirscht an.
    » Bitte, feuern Sie uns nicht.«
    » Nein«, sage ich und schüttle gütig den Kopf. » Keine Sorge.«
    In meinem Augenwinkel sitzt tatsächlich eine kleine Träne. Schnell weg damit. Noch alberner als schreiende Chefs sind solche, die ihre Gefühle nicht in den Griff kriegen, und das vor den Augen des Teams.
    Komm, Sophie. Reiß dich zusammen.
    » Sie dürfen aber trotzdem nicht Ihre Arbeit hier oben vernachlässigen«, sage ich und versuche, ein strenges Gesicht zu machen. » Und Sie müssen sich abmelden, wenn Sie im Tal verschwinden. Und ich möchte, dass Sie nur dann gemeinsam zu Ihrer Schwiegermutter fahren, wenn das vorher mit mir abgesprochen ist. Es geht nicht, dass ich mich hier oben plötzlich alleine wiederfinde. Und geben Sie mir bitte Ihre Handynummer für den Notfall.«
    Jirgl sieht mich fest an und nickt.
    » Versprochen?«, frage ich.
    » Versprochen«, sagt er und lächelt schief.
    » Abmarsch«, sage ich versöhnlich, und Jirgl läuft die Treppe hoch, dorthin, wo seine Frau vorhin verschwunden ist.
    Fritz Jirgl, denke ich und schüttle den Kopf. Wie sehr man sich doch manchmal irrt.
    Ich hatte mich die ganze Zeit gefragt, wieso Tante Johanna diese faulen Idioten eingestellt hat. Jetzt weiß ich es. Sie hatte einfach ein Herz für Menschen, die hilfebedürftig sind. Ich sollte mir ein Vorbild an ihr nehmen.
    Herzlichkeit, noch so eine Sache. Plötzlich fällt mir wieder ein, worüber ich vorhin beim Putzen nachgedacht habe. Langsam komme ich meiner Idee näher.
    Ohne Eile gehe ich ebenfalls in den ersten Stock.
    Ganz latent hatte ich ja das ungute Gefühl, dass die Zeit von Alrein einfach abgelaufen sein könnte. Dass die Leute vielleicht einfach nicht mehr besonders wild auf Gemütlichkeit und Gulasch sind. Dass man Wellnessanlagen braucht, um heute noch konkurrenzfähig zu sein, und Sichtbeton und Designermöbel.
    Aber vorhin, beim Putzen, habe ich mir die Zimmer noch einmal angesehen. Die schlichten Bauernmöbel aus hellem Holz, die großen Fenster, die weißen Laken. Alrein ist irgendwie auch modern, oder besser noch: zeitlos. Aber im Unterschied zu irgendwelchen neuen Zimmern haben die in Alrein Geschichte. Ganze Generationen haben in diesen Räumen gelebt, sie haben hier gelacht und geliebt und geschlafen. Generationen sind hier glücklich gewesen, haben hier tatsächlich Urlaub

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