Liebe und Marillenknödel
nur ansatzweise Konkurrenz machen kann. Ich meine, man kann das Gebäude vom Dreifichtenbänkchen aus sehen – ein supermoderner Bunker mit Sichtbeton und Stahlträgern und riesigen, raumhohen Fensterfronten und einer gigantischen Terrasse mit Aluminium-Liegestühlen und einem fußballfeldgroßen Pool aus Edelstahl, der aussieht wie ein Becken, in dem normalerweise hochradioaktive Brennstäbe abklingen – vollkommen steril. Was gefällt den Leuten nur an diesem hässlichen, modernen Stahlkoloss, wenn sie es in Alrein so schön, gemütlich und herzig haben können?
Wahrscheinlich genau das: Dort ist es modern und hip – und hier nur gemütlich und herzig. Immerhin wurde das Hotel sogar in der Vogue, die ich mir letzte Woche aus Brixen mitgebracht habe, in einem Reisetipp vorgestellt.
Aber dafür ist dieses Alpine Relax ganz bestimmt absurd teuer! Bei mir würde ein Doppelzimmer sechzig Euro kosten, wenn es denn mal jemand nähme. Dort drüben verlangen sie bestimmt hundertfünfzig.
Mist, wahrscheinlich ist auch das ein Grund. Es gibt genügend Leute, die denken, dass das teuerste Gericht auf der Karte automatisch auch das Beste sein muss – und es grundsätzlich bestellen, ganz egal, worauf sie wirklich Lust gehabt hätten.
Uffz.
Mir dämmert, was der Typ vorher meinte, als er sagte, er hätte keine Ahnung, was die alle haben.
Wer weiß, was dort unten im Alpine Relax für Geschichten über Alrein kursieren. Geschichten von faulen Mitarbeitern und dreckigen Zimmern und Essen, das so unterirdisch schmeckt, dass man es nicht einmal dem eigenen Chihuahua vorsetzen würde. Geschichten, die leider wahr sind.
Dabei wette ich, dass es im Alpine Relax erst recht kein anständiges Essen gibt. So minimalistisch, wie der Laden aussieht, gibt es dort allenfalls Rohkost. Oder Sashimi, aber mit salzreduzierter Sojasauce.
Andererseits würde ich auch lieber rohen Fisch essen als billiges Dosengulasch.
Ich knülle den Zettel zusammen und lasse ihn in den Saucenrest auf dem Teller fallen.
So oder so – das war der Anpfiff. Von so einem neumodischen Designhotel lasse ich mir ganz sicher keinen Strich durch die Rechnung machen.
Ich stelle die beiden Teller in der Küche ab und gehe zurück ins Treppenhaus.
» Frau Jirgl?«, rufe ich nach oben. Keine Antwort. Ich werfe einen Blick in die Gaststube, aber das wäre ja auch ein Wunder gewesen.
» Herr Jirgl?«, rufe ich durchs Haus, aber klar, auch er meldet sich nicht.
Dann fällt mir ein, dass die beiden nicht da sind, schon seit heute Mittag nicht, als ich versucht habe, das Gulasch zu kochen. Zuletzt habe ich sie heute Morgen gesehen, als ich ins Tal zum Fleischhauer gefahren bin, und den beiden den Auftrag gegeben habe, die Zimmer auf Vordermann zu bringen.
Ich glaub’s nicht. Ich glaube es einfach nicht.
Zimmer eins – schmutzig. Zimmer zwei – ebenfalls schmutzig. Zimmer drei – hier ist sogar noch der Mülleimer mit Abfall vom letzten Jahr gefüllt. Wütend marschiere ich weiter zu Zimmer fünf, in dem bis vorgestern Herr Philippi untergebracht war – nicht einmal das Bett ist abgezogen.
Jirgls, wenn ich euch in die Finger krieg! Das gibt Ärger.
Wütend trete ich einen Papierkorb um. Er kullert so laut durch das Zimmer, sodass ich sofort ein schlechtes Gewissen bekomme, ihn wieder einfange und zurück an seinen Platz stelle.
Ich möchte wirklich wissen, warum Tante Johanna die Jirgls überhaupt eingestellt hat. Und wenn ihr der Fehler schon unterlaufen ist, warum sie die beiden nicht einfach wieder gefeuert hat. Für Zimperlichkeit war sie eigentlich nicht bekannt.
Tja, unangenehm. Aber wenn das so weitergeht, dann werde ich das wohl übernehmen müssen.
Was im Augenblick aber fast noch unangenehmer ist: Wenn der nächste Gast nicht gleich wieder die Flucht ergreifen soll, dann muss ich ein paar Zimmer in Ordnung bringen, und zwar jetzt sofort und nicht wieder erst, wenn er sein Zimmer beziehen will.
Oh, wie ich diese blöde Putzerei hasse! Der Mensch sollte einfach nicht gezwungen werden, Dinge zu tun, die ihm zuwider sind. Ich bin mir ganz sicher: Es gibt Individuen, die ohne Steuererklärungen, Fitnessstudios oder Fensterleder eindeutig glücklichere Menschen wären. Mich zum Beispiel.
Mein Hals ist so dick wie der eines Leguans, als ich das Putzzeug in Zimmer fünf karre. Hier sind wenigstens schnelle Erfolge zu erzielen, denn bei Herrn Philippis Ankunft habe ich ja alles schon einmal geputzt. Ich sauge durch, schüttle die Bettvorleger aus,
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