Liebe und Marillenknödel
mich erschrocken an. » Warum denn?«
» Weil ich keinen Kontakt mehr zu ihm wollte, darum!«
» Schätzchen, sei nicht dumm. Ich bin absolut sicher, du hättest immer noch Chancen bei ihm. Du musst nur nach Hamburg zurückkommen, dann fügt sich alles, du wirst sehen! Eine Mutter spürt so etwas!«
Ich atme durch. Meine Mutter hat Jan wirklich geliebt, und zugegeben: Ich habe das ja auch. Er ist ein unglaublich charmanter, gut aussehender Typ, mit jeder Menge Talent und Verve. Er wird sicherlich irgendwann mal Verleger. Das habe nicht nur ich so gesehen, sondern eigentlich auch alle anderen. Zumindest war, als ich damals auf der Frankfurter Buchmesse mit ihm zusammengekommen bin, die halbe Branche auf ihn scharf. Und damit wären wir auch schon bei seiner Schattenseite, die zu einer alles dominierenden Schattenseite wird, sobald man in einer beziehungsähnlichen … äh … Beziehung mit ihm steht.
Ich erzähle das echt nicht gerne.
Also: Jan ist erotoman. Pathologisch erotoman. Das heißt, er muss ungefähr dreimal am Tag Sex haben. Er will immerzu Sex, es sei denn, er hat gerade welchen. Er denkt an Sex, wenn er isst. Er denkt an Sex, wenn er sich die Zähne putzt. Er denkt sogar an Sex, wenn er Geschäftstermine hat. Im Ernst, ich weiß nicht, aus wie vielen Konferenzen er mir anzügliche SMS geschrieben hat. Seine Sexsucht so geschickt zu verbergen, dass kein Mensch etwas davon ahnt, ist vielleicht seine größte Leistung. Die halbe Branche sieht Deutschlands nächsten großen Verleger in ihm. Wenn sie die Wahrheit wüssten, dann säße er längst an seinem bestimmungsgemäßen Ort, einem Hinterzimmer auf der Reeperbahn.
Wie dem auch sei. Das mit dem Sex war am Anfang ja noch ganz nett, so ungefähr die ersten zwei Monate lang. Aber nach einer Weile halt nicht mehr. Irgendwie habe ich gedacht, dass es schon klargeht, wenn er sein Kasperle nur noch alle paar Tage in die Schlucht hüpfen lassen kann. Ich meine, wir haben uns geliebt, oder? Dachte ich zumindest. Haha.
» Mama, ich wollte dir das eigentlich ersparen.«
» Was denn?«, fragt sie erstaunt. Da, ihr Blick ist der Beweis: Sie kann sich nicht einmal vorstellen, dass Jan in seinem Leben irgendetwas falsch gemacht haben könnte. Aber das ist wahrscheinlich typisch für Eltern. Wenn sie irgendwo eine goldene Zukunft für ihre Kinder leuchten sehen, dann wird alles, was diese Vorstellung stören könnte, einfach ausgeblendet.
Ich seufze, ziehe mein Handy aus der Tasche, drücke ein paar Tasten und finde schließlich das Bild, das alles kaputt gemacht hat. Ich habe es nie gelöscht. Ich wollte mich jederzeit daran erinnern können, dass es richtig war, Jan zu verlassen. Und ich warte immer noch auf eine passende Gelegenheit, es ihm vor die Nase zu halten.
Ich halte ihr das Handy hin, mein Vater beugt sich neugierig zu ihr rüber. Meine Mutter nimmt es und betrachtet das Foto.
» Aber das ist ja …«
Sie ist knallrot geworden und reicht mir das Handy rasch wieder über den Tisch.
» Was ist das?«
» Jans Schwanz.«
Sie schnappt vernehmlich nach Luft, offenbar findet sie das Wort noch anstößiger als das Bild dazu. Oder sie hat meinen Vater schon sehr lange nicht mehr nackt gesehen und war sich tatsächlich nicht sicher.
» Aber, Sophie …«, sagt sie und sieht mich fassungslos an.
Mein Vater hat sich mit glühenden Ohren wieder seinem Schnitzel gewidmet und zwängt sich ein bierdeckelgroßes Stück zwischen die Lippen, um ja nicht in Verlegenheit zu kommen, etwas sagen zu müssen.
» Und der Mund, in dem er steckt, ist nicht meiner.«
Meine Mutter ist verstummt und wird noch roter. Doch dann sagt sie: » Na, Gott sei Dank.«
Ich sehe sie wütend an.
» Das Bild hat er mir per MMS geschickt, offensichtlich aus Versehen. Es ist der Mund seiner Chefin.«
Mein Vater bekommt einen Hustenanfall und versucht hastig, diesen mit einem großen Schluck Bier zu stillen.
Und ich? Monatelang habe ich gedacht, ich würde niemals über die Sache hinwegkommen. Ich meine, ich stand echt unter Schock, als ich diese Nachricht bekommen habe, ein Schock, der sich nur noch verschlimmerte, als ich Jan letztendlich zur Rede stellte. Er könne nichts dafür, hat er gesagt. Er wüsste es selbst, er sei ein Fall für die Klinik, wie der Hauptdarsteller von Akte X oder Michael Douglas. Ich schlug ihm vor, dann doch einfach in eine Klinik zu gehen, woraufhin er erwiderte: Mit einem Klinikaufenthalt bringe er seine Karriere in Gefahr, mit seiner Sexsucht hingegen
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