Liebe und Tod in Havanna
verschiedensten Dinge mit, die die Putzkolonne aus den Flugzeugen holte, eingeschweißte Menüs im Überfluss, Seife, Zahnpasta und andere Pflegeartikel, die auf den Sitzen der ersten Klasse liegen geblieben waren.
Ganz zu schweigen von dem Auto, mit dem sie Nieves Großmutter in Santiago besucht hatten. Purer Luxus!
Ans Schreiben dachte er überhaupt nicht mehr.
Es war seltsam. Seit er dort war, hatte er keine Lust mehr zu schreiben. Er ließ sich vom Leben treiben, wie jemand, der nicht die geringsten Ambitionen oder Sorgen hat, jemand, der sich keinerlei Fragen stellt. Und das war sehr angenehm.
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In jenem Winter kam es in den Straßen Alt-Havannas zu Aufständen. Die von den ewigen Entbehrungen erschöpfte Bevölkerung schmiss Steine in neu eröffnete Läden und steckte Autos von Ausländern in Brand. Die Armee begann zu patrouillieren. An jeder Ecke sorgten Panzerwagen mit bewaffneten Soldaten dafür, dass die Ausgangssperre eingehalten wurde.
Und so begab sich Fidel persönlich in die Viertel, in denen die Emotionen am höchsten kochten, sprach zu der hasserfüllten Menge und stellte die Ruhe wieder her.
Der Typ ist einfach unglaublich, befand Jo. Alle Welt hasste ihn, redete schlecht über ihn, doch sobald er auftauchte, kehrte wieder Ruhe ein. Er war wirklich eine Art lebender Gott: verehrt, verspottet, aber unglaublich respektiert und gefürchtet.
Doch wenn man es genau betrachtete, lagen die Dinge etwas anders. Was die Ordnung wiederherstellte, war nicht allein Fidels Kühnheit, sondern eine Reihe von Maßnahmen der »Öffnung«, die die Zwangslage etwas lockerte.
Man genehmigte die Eröffnung von Konten in Fremddevisen, und aus Miami durfte monatlich ein bestimmter Betrag in Dollar, die so genannte remesa familiar, an Familienangehörige geschickt werden.
Auch die Grenzüberwachung wurde gelockert, Mütter durften ihre Kinder in Amerika besuchen, und Kuba wurde für Exilkubaner aus Florida geöffnet, die als Charterreisende die Hotels zu belagern begannen.
»Weißt du, woran man einen Kubaner aus Miami erkennt?«, fragte Jo Nieve eines Abends amüsiert, als sie gerade auf der Plaza de la Catedrál ein Eis aßen.
»Nein, sag’s mir!«
»Er ist dick. Da, guck dir mal den an, der gerade vorbeigeht. Was willst du wetten, dass er aus Miami ist?«
Entschlossen stand Nieve auf und hielt den Mann an.
Er war ein korpulenter, vor Schweiß glänzender Mulatte, der Nieve verächlich von oben bis unten musterte. Über und über war er mit Ringen, Armbändern und Goldketten behängt.
»Du hattest Recht«, sagte Nieve, als sie sich wieder hinsetzte. »Wie hast du das erraten?«
Jo lehnte sich zurück. »Hör mir gut zu, mein Liebling, da du ja gern hast, wenn ich dir die Welt erkläre. Die Kubaner aus Kuba sind allesamt dünn. Und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Sie essen nicht zu viel. Zweitens: Da es keine Verkehrsmittel gibt, fahren sie Fahrrad. Der Kubaner aus Miami ist, wie jeder Amerikaner, der auf sich hält, fettleibig. Warum? Weil er sich, kaum dass er in Amerika angekommen ist, eine Karre kauft und sich fortan nicht mehr bewegt. Er macht alles mit dem Auto und stopft sich mit Hamburgern und Pommes voll. Also, was macht der Kubaner aus Miami nach ein paar Monaten im Exil?«
»Ich weiß nicht. Was macht er denn?«, fragte Nieve, die Jos Vortrag genutzt hatte, um sich noch ein Eis zu bestellen.
»Sie sind ALLE fett und ALLE tragen Adidas- oder Nike-Jogginganzüge, um den Anschein zu erwecken, dass es sich um eine vorübergehende Aufblähung handelt und sie auf Diät sind. Also kauft der Kubaner aus Miami sich einen Hometrainer, weißt du, diese Dinger, mit denen man auf der Stelle fährt, und radelt auf seinem Balkon, um abzunehmen. Das Resultat ist am Ende dasselbe, ob sie nun diesseits oder jenseits des Meeres sind, Kommunisten oder Kapitalisten: Die Kubaner radeln!«
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Jos einziges Problem war, dass er nicht verliebt war in Nieve. Er hatte nicht die Zeit gehabt, sie zu verführen. Sie hatte bereits in seinem Bett gelegen, noch bevor er ihren Namen kannte. Da er sie nicht erobert hatte, glaubte er, könne er sie nicht lieben. Aber woher sollte er überhaupt wissen, ob er sie liebte? Was war denn Liebe? Er Liebte sie nicht, wie er seine Frau lieben würde, sondern eher wie seine Tochter. Und dennoch schlief er mit ihr, und in solchen Momenten war wohl eher er das Kind. War das Leben kompliziert!
Sicher war nur, dass er froh darüber
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