Liebe und Tod in Havanna
wusste nichts davon! Sie hätte mich umgebracht. Ich bin nicht wegen der Ausländer hingegangen, es gibt da sowieso kaum welche. Ich war wegen der Musik dort, wegen Tosco, der an dem Abend gesungen hat, ich bin verrückt nach ihm.«
»Du bist nur wegen der Musik hingegangen, hast mich aber trotzdem abgeschleppt.«
Sie lachte.
»Natürlich! Ein schöner Ausländer wie du, die Chance konnte ich mir doch nicht entgehen lassen!«
Jo fühlte sich wohl mit Nieve. Sie störte ihn nicht. Sie kam abends und ging am nächsten Morgen wieder. Sie stritten nie und sprachen von einfachen Dingen.
»Weißt du, was ich an dir mag? Dass du mir die Dinge erklärst.«
Es stimmte, Jo erklärte Nieve viele Dinge. Er machte es gern und er sagte sich, dass er einen guten Lehrer abgegeben hätte.
Wenn sie miteinander geschlafen hatten, setzte sie sich ihm im Bett gegenüber und stellte ihm Fragen: »Wie ist Europa? Und der Schnee? Wie ist dein Vater? Und deine Mutter? Und deine Frau? Was ist Demokratie? Und wie macht man Wein? Und warum hast du einen großen Penis, obwohl du nicht schwarz bist? Und warum sind die Franzosen nett? Und keine Lügner, wie die Italiener oder die Spanier?«
11
D IE BALSEROS VON C OJIMAR
Cojimar, September
»Mein Bruder bricht heute Abend mit dem Boot nach Miami auf. Du musst mir hundert Dollar für ihn geben, Jo! Sieh es als Vorschuss, ich werde dich einen ganzen Monat nicht mehr um Geld bitten. Er braucht auch eine Sonnenbrille, damit er wie ein Tourist aussieht, wenn er dort ankommt.«
Sie waren in den winzigen Fiat gestiegen und hatten den Bruder in der kleinen Bucht von Cojimar getroffen.
Von Cojimar, einer Bucht gleich neben Havanna, machten sich die meisten der balseros auf den Weg. Von dort war auch Hemingway zu seinen legendären Hochseefischzügen in See gestochen, dort hatte er die Hütte des Alten aus Der alte Mann und das Meer angesiedelt. Cojimar war ein kleines Nest: eine Marina, ein Mini-Malecón, über dem die Statue des alten Ernest thronte und eine Mole, die von einem kleinen spanischen Fort beschützt wurde, in dem die Küstenwache untergebracht war, die die ein- und auslaufenden Boote kontrollierte.
Auf den alten Steinen des Malecón brannten Hunderte von Kerzen, davor knieten schwarz gekleidete Frauen und beteten. Am Strand machten sich ihre Söhne oder Ehemänner an behelfsmäßigen Booten zu schaffen, Flößen aus alten Brettern, die auf Kanister genagelt waren, aneinander befestigten Autoreifen, schwankenden Katamaranen, alten Fischerbooten, in die aus unzähligen Löchern Wasser eindrang.
Eine Horde Schaulustiger, Kinder und gleichgültige Bullen wohnten der Abfahrt bei und kommentierten die Chancen eines jeden.
Key West war gerade mal siebzig Seemeilen von Cojimar entfernt. Bei ruhiger See dauerte die Überfahrt nur ein paar Stunden.
Seit über einem Monat vollzog sich jeden Abend das gleiche Schauspiel.
Erbittert über die Unnachgiebigkeit der Amerikaner und die allgemeine Not, die seinem Land die Daumenschrauben anlegte, hatte Fidel beschlossen, Clinton dieses faule Geschenk zu machen und ihm den gesamten Abschaum Kubas zu schicken: Verbrecher, Drogenabhängige, Außenseiter, politische Gegner.
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer: »Wir können abhauen! Die Bullen lassen uns!«
Unter den am Strand versammelten Grüppchen kursierten die unglaublichsten Geschichten: »Mein Sohn ist letzte Woche gefahren, in rosafarbenen Bermudas, Nike-T-Shirt, Adidas-Schirmmütze und neonfarbener Sonnenbrille. Er ist mit einem kleinen Katamaran los, so einem, wie man ihn in Varadero am Strand leihen kann. Er hatte nur eine Flasche Mineralwasser dabei und ein paar Dollar im Slip. Jedenfalls, ob ihr’s glaubt oder nicht, zwölf Stunden später hat er mich aus einer Telefonzelle in Miami angerufen: ›Mama, ich hab’s geschafft, ich bin da! Ich bin vor der Nase der Küstenwache abgehauen. Ich hab so getan, als war ich ein Tourist, der ein bisschen segelt. Hier habe ich dann den Katamaran am Strand gelassen und bin in einer Bar eine Coke trinken gegangen, und jetzt rufe ich dich an!‹«
»Alles Lüge!«, brüllte eine andere Frau. »Die meisten kommen doch nie an! Jeden Morgen werden Arme und Beine in einer Blutlache an den Strand geschwemmt. Die Haie lassen keinen durch. Die sind schlimmer als die Küstenwache der Yankees. Ihr werdet es ja gleich sehen, wenn die erst mal abgelegt haben! Die meisten kriegen im letzten Moment Muffensausen
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