Liebe und Tod in Havanna
und flehen, dass man sie zurückholt!«
»Von wegen!«, legte ein klappriger alter Fischer noch einen drauf. »Dann schmeißen die anderen sie sofort über Bord! Und die kubanische Küstenwache braucht sie nur noch an den Bojen einzusammeln, an die sie sich klammern wie die Fliegen.«
In dieser Jahreszeit brach die Nacht schnell herein. Nieve hatte ihren Bruder gefunden, der mit elf anderen die Überfahrt wagen wollte, auf einer engen Barke, die von einem altersschwachen Außenbordmotor angetrieben wurde.
Die Gruppe junger Leute war bester Laune. Der Rum, der herumgereicht wurde, hatte das Seine dazu beigetragen. Sie wirkten wie eine Pfadfindergruppe, die einen Ausflug aufs Meer machen wollte.
Eine noch sehr junge Mutter klammerte sich schluchzend an ihren Sohn.
»Hör auf zu heulen, Mama!«, sagte der Junge, der selbst den Tränen nahe war, jedoch den Harten spielte. »Nächste Woche schicke ich dir dein Bügeleisen.«
»Ich pfeif auf das Bügeleisen! Ich will dich! Was soll denn ohne dich aus mir werden, so ganz allein in dem großen Haus!«
»Eben, Mama, das Haus, du musst darauf aufpassen, damit Fidel es uns nicht wegnimmt. Es ist ja nur für zwei, drei Jahre, allerhöchstens. Sobald das ganze System erst mal wie ein Kartenhaus eingestürzt ist, kommen wir alle zurück, mit allen Cousins aus Miami, bringen das Haus auf Vordermann und leben wie die Könige.«
Nieve weinte nicht, sie zog nur nervös am T-Shirt ihres Bruders, als wollte sie ihn wecken. »Mama ist zu Hause geblieben, um auf die Kleine aufzupassen. Sie hat geheult wie ein Schlosshund, ruf sie bei der Nachbarin an, sobald du angekommen bist. Hier sind die hundert Dollar und die Sonnenbrille. Du kannst dich bei Jo bedanken, ohne ihn hättest du nicht fahren können.«
»Danke, Jo, ich werde es wieder gutmachen.«
Nieves Bruder war sympathisch, er hatte einen offenen Blick. Er wirkte ganz und gar nicht wie das Pack, das man ihm beschrieben hatte.
Die jungen Leute stachen mehr schlecht als recht in See, umringt von Ölkanistern, die an der Barke befestigt waren. Die Familien halfen, sie anzuschieben.
Kaum gestartet, gab der Motor ein Husten von sich und ging aus. Das Warten war unerträglich. Die Mütter weinten, die Söhne machten ein Gesicht wie begossene Pudel. Für stolze Eroberer machen wir wohl nicht gerade den schlauesten Eindruck, keine zehn Meter vom Strand schon die erste Panne, dachte Nieves Bruder und zog verzweifelt an der Startschnur, um den Motor wieder anzuwerfen. Der Motor sprang an und langsam entfernte sich die Barke, bis sie hinter dem Moro Español im Dunkel verschwand.
Bald hatten alle Boote das Weite gesucht und am Strand blieben nur noch die Mütter zurück, die vor ihren Kerzen knieten und beteten und dabei mit Blicken die schwarze Nacht absuchten.
»Fahren wir nach Hause, Nieve!«, sagte Jo und zog sie zum Auto. »Das alles hier deprimiert mich! Wenn du eines Tages fortgehst, Schatz, dann mit dem Flugzeug und einem anständigen Pass.«
Sie hatte sich an ihn geschmiegt und ihm ihr strahlendstes Lächeln geschenkt.
»Ich liebe dich, Jo. Du erklärst mir wenigstens die Dinge.«
––– ¤ –––
Jo machte sich Vorwürfe, dass er das zu Nieve gesagt hatte. Er wollte nicht, dass sie sich Hoffnungen machte und wieder eine Enttäuschung erlebte.
Er hatte keinerlei Absicht, sie mit nach Europa zu nehmen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil er vorhatte, sehr lange in Kuba zu bleiben.
Jeden Monat ließ er sein Gehalt auf Annes Konto überweisen. Aber wie viele Jahre würde er brauchen, um seine Schulden abzuzahlen?
Anne hatte ihm geschrieben. »Bestehe nicht darauf, das Geld zu zahlen! Ich will keinen Märtyrer aus dir machen. Gib mir einfach hin und wieder etwas zurück, so viel du kannst. Meine Familie hilft mir, ich habe genug zum Leben.«
Aber Jo blieb stur. Diese monatliche Überweisung war wie ein Band, das ihn noch mit Anne vereinte.
Dennoch fehlte Anne ihm nicht. Er dachte oft an sie, aber mehr wie an ein weit zurückliegendes Abenteuer, das noch nicht abgeschlossen war.
Sein Leben in Havanna gefiel ihm. Es fehlte ihm an nichts. Er aß, wenn er hungrig war, trank sein Gläschen Rum, wenn der ihn lockte, schrappte in einsamen Momenten auf seinem Reco-Reco, ging jedes Wochenende in Salsaclubs und hatte eine sanfte und ruhige Kindfrau in seinem Bett.
Sein Job auf dem Flughafen brachte ihm zudem zahlreiche Vorteile ein, die Nieves Familie den Alltag erleichterten: Oft brachte er die
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