Liebe und Vergeltung
Überraschung an und fragte erstaunt: „Ist das so offensichtlich? Ich dachte, meine Garderobe entspräche dem augenblicklichen europäischen Modestandard. Aber vielleicht sollte ich den Schneider, der mich so schlecht beraten hat, in Ketten werfen und in die nächste Zinnmine schleifen lassen.“
Sara bemerkte, daß der Prinz von Kafiristan nur einen leicht fremdländischen Akzent hatte. Seine Stimme war tief und wohlklingend, und der Klang gefiel ihr. Jäh wurde sie sich bewußt, daß Prinz Balagrini noch immer ihre Hand hielt und eine ungewohnte, aber nicht unangenehme Wärme sie durchströmte. „Sie dürften wissen, Hoheit“, erwiderte sie lächelnd, „daß es bei uns nicht Sitte ist, mißliebige Mitbürger einfach in Bergwerke zu verbannen. Im übrigen haben Sie keinen Grund, Ihrem Schneider gram zu sein. Kleider machen zwar Leute, wie man sagt, doch das stimmt nur zum Teil. Ein Mensch wird von den Erfahrungen seines Lebens geprägt, und Ihrem Gesicht sieht man an, daß Sie nicht auf bequeme Weise in England aufgewachsen sind.“
„Sie haben recht, Madam“, pflichtete Mikahl ihr bei.
Wahrscheinlich hatte das beschwerliche Dasein in den Bergen ihn so hart, so kräftig gemacht. Seine sinnlich männliche Ausstrahlung und seine Nähe verwirrten Sara. Plötzlich hatte sie den Wunsch, ihn zu liebkosen, an sich zu ziehen und seinen vollendeten Körper zu streicheln. Sie erschrak über sich selbst, entzog ihm sacht die Hand und sagte leichthin: „Handküsse, Sir, gehören in Europa zwar zum guten Ton, aber es schickt sich nicht, die Hand einer Dame festzuhalten.“
„Oh, ich bitte um Vergebung, Lady Sara“, entschuldigte sich Mikahl und machte ein reumütiges Gesicht. „Es ist mir bekannt, doch im Moment hatte ich es völlig vergessen. Ich hoffe, Sie vergeben mir, wenn ich gelegentlich gegen die Form verstoßen sollte.“
„Ja, wenn Sie mich nicht allzusehr aus der Fassung bringen“, sagte Sara und hoffte, er möge nicht hören, wie aufgewühlt sie innerlich war. Unversehens hatte sie den Eindruck, daß eine erregende Spannung in der Luft lag. „Wo ist Alastair?“ erkundigte sie sich rasch, um sich abzulenken. „Ich finde es nicht in Ordnung, daß er Sie sich selbst überlassen hat.“
„Zeihen Sie ihn nicht schlechten Benehmens, Madam“, nahm Mikahl den Freund in Schutz. „Er wurde von einem Bekannten aufgehalten, der ihn in ein mich langweilendes Gespräch über die Frage verwickelte, welcher europäische Prinz der geeigneteste Gemahl für Ihre Königin sei.“
„Das muß Mr. Macaw gewesen sein“, äußerte Lady Sara schmunzelnd. „Hat man sich einmal mit ihm eingelassen, entgeht man ihm nicht so schnell.“
„Das würde ich anders sehen“, widersprach der Prinz. „Man muß einem geschwätzigen Menschen nur deutlich genug zu verstehen geben, daß er aufdringlich ist. Ein kultiviertes Benehmen ist nicht immer von Vorteil.“
„Sie vertreten äußerst erstaunliche Ansichten, Sir“, entgegnete Lady Sara mit strafendem Blick, lächelte jedoch flüchtig. „Wie bedauerlich, daß ich die Gastgeberin bin und mir nicht die Zeit nehmen kann, Sie davon zu überzeugen, daß geschliffenes Benehmen sehr wohl dazu beiträgt, das Leben angenehmer zu gestalten. Ich schlage vor, wir machen uns auf die Suche nach Alastair. Da mir Höflichkeit seit Kindertagen anerzogen wurde, kann ich mich nicht überwinden, Sie inmitten einer Schar von Fremden allein zu lassen.“
„Wir müssen ihn nicht mehr suchen. Er ist endlich Mr. Macaws Fängen entronnen und kommt auf uns zu.“
„Sieh es mir bitte nach, Mikahl, daß ich mich nicht um dich kümmern konnte“, entschuldigte sich Alastair und küßte dann seiner Cousine die Hand.
„Schon gut“, erwiderte Mikahl lächelnd. „Lady Sara hatte keine Mühe, mich zu erkennen. Sie hat mich über gutes Benehmen belehrt, aber ich fürchte, sie sieht in mir einen hoffnungslosen Fall.“
„Es könnte keine bessere als sie geben, falls sie sich bereit erklärt, dich mit unseren Sitten und Gebräuchen vertraut zu machen“, meinte Alastair schmunzelnd.
„Wollen Sie mich mentorieren, Madam?“ fragte Mikahl hoffnungsvoll.
„Das Verb gibt es nicht“, antwortete Lady Sara lachend. „Aber wenn Sie möchten, werde ich Sie gern unterweisen, Sir. Alastair erwähnte, daß Sie ihn zweimal aus lebensbedrohenden Situationen gerettet haben. In diese Lage werde ich wohl nicht kommen, aber ich verspreche Ihnen, alles zu tun, damit Ihr Aufenthalt in England angenehm
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