Liebe und Vergeltung
wird.“
„Ich danke Ihnen für die Liebenswürdigkeit“, erwiderte Mikahl ernst. „Gestatten Sie, daß ich Ihnen morgen die Aufwartung mache? Ich habe einiges auf dem Herzen, das ich Alastair nicht fragen möchte. In gesellschaftlichen Dingen ist er oft so respektlos, daß seine Antworten mir vermutlich nicht sehr dienlich sein würden.“
„Ich hingegen bin in Ihren Augen offensichtlich so konventionell, daß bei mir nicht die Gefahr von Fehlinstruktionen besteht“, sagte Lady Sara trocken. „Ja, selbstverständlich bin ich damit einverstanden, daß Sie mich morgen aufsuchen. Wie sollen Sie denn die skandalösen Vergnügungen Londons genießen, wenn Sie nicht wissen, was skandalös ist?“
„Sara, soeben ist Sir Charles eingetroffen“, warf Alastair ein. Sie blickte dem Verlobten entgegen und bemerkte gleichzeitig aus dem Augenwinkel, daß der Prinz in dieselbe Richtung schaute. Seine Miene war reglos, und dennoch hatte Sara unvermittelt ein ungutes Gefühl.
Mikahl sah, daß die Zeit an seinem Gegner fast spurlos vorbeigegangen war. In jüngeren Jahren hatte Weldon seine wahre Natur mit gutem Aussehen und Charme kaschieren können, und das gelang ihm sicher auch noch heute. Einem aufmerksamen Beobachter konnten jedoch die Spuren in seinem Gesicht, die auf ein ganz anderes, grausames und niederträchtiges Wesen schließen ließen, nicht verborgen bleiben.
„Vergib mir die Verspätung, meine Liebe“, begrüßte Sir Charles seine Braut und küßte ihr die Hand.
Mikahl bemerkte, daß Lady Sara seltsam reserviert reagierte. Nun stellte auch er fest, daß sie den Baronet wohl nicht aus Liebe zu heiraten gedachte.
„Sir, gestatten Sie, daß ich Sie mit Sir Charles Weldon, meinem Verlobten, bekannt mache. Charles, ich möchte dir Seine Hoheit, Mikahl, Prinz Balagrini von Kafiristan, vorstellen. Seine Hoheit ist der erste Repräsentant seines Landes, der nach Europa gekommen ist, und weilt noch nicht lange in England.“
„Ich hoffe, Hoheit, Sie genießen den Aufenthalt“, sagte der Baronet, reichte gedankenlos dem Prinzen die Hand und starrte ihn verwundert an. „Ist das wirklich Ihr erster Besuch in England?“ fragte er unsicher. „Ich habe das Gefühl, daß wir uns schon einmal begegnet sind.“
Mikahl mußte sich überwinden, seinem erklärten Feind die Hand zu geben. Der Zorn auf dieses menschliche Ungeheuer drohte ihn zu übermannen, und nur mühsam bezwang er den Wunsch, seinen Dolch Weldon ins Herz zu stoßen und ihm dann kaltblütig zu sagen, warum er sterben mußte. Doch das wäre ein zu schneller, zu wenig qualvoller Tod gewesen. „Waren Sie denn in Indien, Sir Charles?“ erkundigte er sich so gelassen, wie es ihm unter den Umständen möglich war. „Es könnte sein, daß wir uns dort gesehen haben. Ich entsinne mich allerdings nicht.“
„Nein, ich war nie dort“, antwortete der Baronet. „Ich habe mich getäuscht. Ihre Augen haben jedoch eine so bemerkenswert ungewöhnliche Farbe, daß ich mich zu erinnern glaubte. Dieses eigenartige Grün habe ich nur einige Male gesehen.“ Sir Charles hielt inne und fügte nach kurzem Zögern halblaut hinzu: „Nein, nur einmal.“
„Im Lande meines Vaters sind grüne Augen keine Seltenheit“, erwiderte Mikahl ruhig und warf dann den Köder aus, der ihm Sir Charles an den Haken bringen sollte. „Ihnen eilt ein sehr guter Ruf als exzellenter Geschäftsmann voraus, Sir“, sagte er in anerkennendem Ton. „Ich bin daran interessiert, in England zu investieren. Falls es Ihre Zeit erlaubt, haben Sie vielleicht die Güte, mich sachkundig zu beraten?“
„Ich stehe Ihnen gern zu Diensten, Sir. Wenn es Ihnen recht ist, soupieren wir einmal im City of London Club.“
Mikahl war das habgierige Aufleuchten in Weldons Blick nicht entgangen. „Ich würde unsere Bekanntschaft mit Vergnügen fortsetzen“, stimmte er zu und lachte im stillen über die Doppeldeutigkeit seiner Worte. „Wäre es Ihnen am Dienstag abend recht?“
„Selbstverständlich, Sir.“
In diesem Moment erschien das hübsche kleine Mädchen, mit dem Lady Sara sich früher unterhalten hatte, und schaute den Fremden neugierig an.
„Hoheit“, sagte der Baronet und legte dem Kind zärtlich die Hände auf die Schultern, „das ist meine Tochter Elizabeth.“
Das Mädchen führte einen ehrerbietigen Knicks aus.
„Eliza, das ist Seine Hoheit, Mikahl, Prinz Balagrini von Kafiristan.“
„Er ist ein echter Prinz?“ fragte sie und machte große Augen.
„Ja, so könnte man es
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