Liebe und Vergeltung
mochte, und strebte ihr rasch nach, doch es war nicht leicht, sie in dem Gedränge der Gäste einzuholen. Als er endlich bei ihr war, berührte er sacht ihre Schulter und sagte besorgt: „Ich bin hier, Sara.“
Sie drehte sich um und schaute ihn mit seltsam leerem Blick an.
„Ich habe dich mit Weldon tanzen gesehen. Hat er dir angst gemacht, dich in irgendeiner Weise bedroht?“
Sie schüttelte den Kopf und antwortete mit einem flüchtigen Lächeln: „Nein, er wollte nur den Leuten zeigen, daß wir nach wie vor auf gutem Fuße stehen. Aber ich sagte dir ja, die erste Begegnung mit ihm würde mir schwerfallen. Es ist verständlich, daß ich mich schuldbewußt fühle, doch das wird gleich vorüber sein.“
Mikahl furchte die Stirn. Die Erklärung überzeugte ihn nicht. Sara wirkte viel zu verstört. Weldon mußte etwas geäußert haben, das sie so aus der Fassung gebracht hatte. Er nahm sich vor, später darauf zurückzukommen, reichte ihr den Arm und schlug vor: „Komm, fahren wir nach Haus.“
„Erst müssen wir uns von Leticia und ihrem Gatten verabschieden“, wandte Sara ein.
Er hätte gern auf die Einhaltung der Etikette verzichtet, schaute sich jedoch pflichtschuldigst um und entdeckte die Gastgeber in der Nähe des mittleren Einganges zum Ballsaal. „Sanford und seine Gemahlin sind dort drüben an der Tür“, sagte er erleichtert. „Dann wird es nicht lange dauern, bis wir das Haus verlassen haben.“ Mit Sara weitergehend, hatte er das Portal fast erreicht, als plötzlich unter den Gästen eine Bewegung entstand.
Unversehens brach die Musik ab, und erstaunt wandten die
Anwesenden sich dem Haupteingang zu. Die Leute begannen zu tuscheln, verrenkten sich die Hälse und wichen langsam ehrfürchtig aus der Mitte des Saales zurück.
„Die Königin!“ raunte Mikahl seiner Frau zu. „Geruht sie oft, einen Ball mit ihrer Anwesenheit zu beehren?“
„So gut wie nie“, flüsterte Sara. „Sanford steht bei Hofe jedoch in höchstem Ansehen.“
Die Marchioness of Sanford war in einen tiefen Hofknicks versunken, und ihr Gatte hatte sich respektvoll vor der Königin verneigt. Auch William, Viscount Melbourne, erwies ihr die Ehre. Sie lächelte huldvoll, plauderte ein Weilchen mit Lady Sanford, dem Marquess und dem Premierminister und schritt dann, mit jedem einige freundliche Worte wechselnd, an dem Spalier der ihr ehrfürchtige Hochachtung zollenden Gäste entlang.
Sara bewunderte das schlichte schulterfreie Kleid der Königin aus cremefarbener Seide, dessen einziger Zierat ein breiter, bis tief auf die Oberarme fallender Kragen und lange, am Ausschnitt ansetzende Ärmelüberwürfe aus kostbarer Spitze waren. Ein schmales Diadem krönte die rostroten, im Nacken hochgesteckten und an den Ohren zu drei Locken eingerollten Haare; ein Kollier aus erlesenen Diamanten, Smaragden und birnenförmigen Perlen schmückte das Dekollete, und auf den langen seidenen Handschuhen funkelten mehrere Armbänder mit goldgefaßten Edelsteinen. Obgleich Victoria verhältnismäßig klein und etwas füllig war, hielt sie sich mit unnachahmlicher Würde und strahlte majestätische Erhabenheit aus.
Gefolgt von ihrem Hofstaat, näherte sie sich langsam dem Prinzen von Kafiristan und seiner Gattin, verweilte vor ihnen und sagte herzlich: „Lady Sara! Wie schön, Sie hier anzutreffen.“
Sara erwies der Königin die Reverenz, erhob sich und erwiderte höflich: „Eure Majestät sind zu liebenswürdig.“
„Ich hoffe, Prinz“, wandte die Königin sich dann an Seine Hoheit, „daß Ihr Land und meines in Zukunft gute Beziehungen zueinander haben werden.“
Mikahl verneigte sich und antwortete in gemessenem Ton: „Das hoffe ich auch, Madam.“
Charles konnte sich nicht länger beherrschen. Jetzt war der Moment gekommen, einen vernichtenden Schlag gegen den
Widersacher zu führen. Die Gelegenheit hätte nicht günstiger sein können, den verhaßten Gegner vor der einflußreichsten Frau des Reiches zu diskreditieren. Ohne Rücksicht auf die Etikette zu nehmen, löste er sich aus der Menge, ging rasch zu der Königin und sagte devot, nachdem er sich verneigt hatte: „Ich bitte sehr um Vergebung, Eure Majestät, für den Verstoß gegen das Zeremoniell. Aber ich muß Ihnen mitteilen, daß dieser Mann ein Hochstapler ist. Er ist weder Prinz, noch wurde er in Kafiristan geboren.“
Peinlich berührt schaute die Königin den Baronet an, und Lord Melbourne neigte sich, einige Worte flüsternd, zu ihr.
Betroffenheit und
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