Liebe und Vergeltung
vorging.
Sie nickte und verließ schweigend mit ihm den Raum. Auch auf der Fahrt zur Park Street fühlte sie sich nicht zum Sprechen aufgelegt.
Mikahl schaute zum Fenster hinaus, preßte die Lippen zusammen und hörte noch immer Sara in kühlem, gefaßtem Ton fragen: „Können Sie sich vorstellen, daß ich mich, meinen Rang und den ehrbaren Namen meiner Familie vergessen und mir einen Gemahl erwählen würde, der nicht standesgemäß ist?“
Nachdem Sara sich von Jenny beim Auskleiden hatte helfen lassen, schickte sie die Zofe fort und begab sich in das Schlafgemach. In dieser Nacht hätte sie gern allein geschlafen, doch das hätte gewiß zu einer heftigen Kontroverse mit Mikahl geführt.
Mikahl hatte am Fenster gestanden, in die Nacht gestarrt und an einem Glas Cognac genippt. Als er Sara hereinkommen hörte, drehte er sich um, lehnte sich an den Sims und schaute sie stirnrunzelnd an.
Sie setzte sich in einen vor der Balustrade stehenden Fauteuil und fragte leise: „Warum machst du ein so finsteres Gesicht? Nach allem, was ich heute abend über deine Vergangenheit erfahren habe, müßte eigentlich ich verärgert sein.“
„Weldon hat dir also beim Tanzen etwas erzählt“, erwiderte Mikahl mißgestimmt. „Wessen hat er mich beschuldigt? Derselben Dinge, die er in Gegenwart der Königin äußerte, oder hat er sich zu noch schlimmeren Behauptungen verstiegen?“
Mikahl war offensichtlich gewillt, Rede und Antwort zu stehen. Auch wenn Sara davor grauste, Dinge zu hören, die womöglich ihre Ehe zerstören konnten, sagte sie ernst: „Charles erwähnte, er hätte dich in Tripolis kennengelernt.“
Mikahl straffte sich. „Was hat er dir noch berichtet?“
„Daß du...“ Sie zögerte und murmelte dann verlegen: „Nun, du seist homophil und hättest es ihm nie verziehen, daß er die Beziehung zu dir eingestellt hat.“
„Hast du ihm das geglaubt?“ fragte Mikahl, ohne sich zu regen.
„Ich bin sicher, es war reine Niedertracht, die ihn zu diesen Bemerkungen veranlaßt hat“, antwortete Sara ausweichend. , Außerdem hat er vorausgesetzt, daß ich nicht mit dir darüber sprechen würde. Aber ..." Erneut hielt sie inne, senkte den Blick und schaute Mikahl dann fest an. „Aber ich habe den Eindruck gewonnen, daß seine Bezichtigungen doch ein Körnchen Wahrheit enthalten müssen.“
„Und welche dieser Bezichtigungen erscheinen dir nicht erlogen?“ fragte Mikahl in gezwungen gleichmütigem Ton.
„Das weiß ich nicht“, antwortete Sara bedächtig. „Ich habe eben das Gefühl, daß nicht alles erfunden ist.“
„Wem würdest du glauben, mir oder deinem früheren Verlobten, falls ich die Beschuldigungen bestreite?“ fragte Mikahl kalt.
„Du bist mein Gatte“, sagte sie leicht gereizt. „Warum sollte ich deine Angaben bezweifeln?“
„Aber du tust es“, stellte er verbittert fest. „Welch rührender Vertrauensbeweis!“
„Ich bemühe mich sehr, keinen Argwohn zu haben“, entgegnete sie verärgert. „Bis jetzt bist du über deine Vergangenheit jedoch nicht sehr gesprächig gewesen. Ich meine, es ist an der Zeit, daß du mir mehr Gewißheit gibst.“
„Du weißt alles, was zu wissen sich für dich lohnt“, erwiderte Mikahl kühl und leerte das Glas. „Eine Aristokratin wie du würde doch nie sich, ihren Rang und den ehrbaren Namen ihrer Familie vergessen und sich einen Gemahl erwählen, der nicht standesgemäß ist! Also muß ich doch gesellschaftlich akzeptabel sein, und Weldon hat aus schierer Boshaftigkeit gelogen.“
„Du weichst meiner Bitte aus“, stellte Sara unwirsch fest. „Warum willst du mich nicht informieren?“
Mikahl löste sich vom Fenster, setzte das Glas auf dem Tisch neben Sara ab und stützte sich auf die Armlehne ihres Sessels. „Was möchtest du denn wissen, meine Liebe?“ fragte er drohend. „Willst du hören, daß ich tatsächlich homosexuell bin und aus der Gosse komme? Was gedenkst du zu tun, wenn ich beides bejahe? Flüchtest du dich zu deinem Vater und suchst dir einen Liebhaber, der deinem gesellschaftlichen Status besser entspricht?“
Plötzlich begriff Sara, daß Mikahl nicht nur auf Charles wütend war, sondern Angst hatte, sie zu verlieren. Er, der sonst so selbstsicher und erfolgsgewohnt war, befürchtete, sie könnte ihn verlassen, wenn sie sein Vorleben kannte. Gerührt legte sie ihm die Hand auf die Schulter und streichelte ihm mit den Fingerspitzen den Hals. „Ich weiß, wer du heute bist“, sagte sie weich. „Deshalb habe ich dich
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