Liebe und Vergeltung
„Sara?“
Sofort war sie hellwach, beugte sich über ihn und erkundigte sich besorgt: „Wie fühlst du dich?“
Gegen das Licht anblinzelnd, tastete er den Verband an der linken Schulter ab und antwortete leise: „Fürchterlich. Mir brummt der Schädel.“
„Das liegt an dem Laudanum, das du gegen die Schmerzen bekommen hast.“ Sara hielt seine Hand fest. „Nicht, Alastair!“ sagte sie mahnend. „Erinnerst du dich, was geschehen ist?“ „Ich bin mit Michael ausgeritten. Ist er verletzt?“
„Nein. Nur Schiwa hat einen Streifschuß am Hals von der Kugel, die dich getroffen hat. Michael hat dich nach Haus gebracht.“
„Gut, daß ihm nichts passiert ist“, erwiderte Alastair und seufzte leicht. „Hätte Charles zwei Attentäter auf uns angesetzt, wären wir bestimmt tot.“
„Charles?“ wiederholte Sara erstaunt. Michael hatte doch von einem Jagdunfall gesprochen.
„Kurz vor dem Schuß hatte Michael noch gesagt, wie gefährlich es wäre, sich so zu exponieren“, flüsterte Alastair, entzog Sara die Hand und strich sich matt über die Stirn. „Er glaubte nicht, daß Charles schon jetzt versuchen würde, ihn umzubringen. Ich glaube, der Schütze hatte es auf ihn und nicht auf mich abgesehen. Ich habe Metall in der Sonne aufblitzen gesehen und Michael vom Pferd gestoßen. So bin ich in die Schußlinie geraten.“
Sara stockte das Herz. „Seid ihr sicher, daß Charles hinter dem Anschlag steckt?“ fragte sie bestürzt.
„Ja. Er will deinen Mann beseitigen, ehe Michael ihn ver-nichten kann. Verdammt, was rede ich?“ fügte Alastair verwirrt hinzu. „Du hast keine Ahnung, nicht wahr?“
„Nein, doch du wirst mir jetzt erzählen, war hier vorgeht!“ antwortete Sara in bestimmendem Ton.
„Michael wollte nicht, daß du es weißt. Er will dich nicht beunruhigen.“
„Darüber zu befinden, ist allein meine Sache“, entgegnete Sara verstimmt. „Ich bestehe darauf, daß du mir jetzt die Wahrheit sagst.“
„Mir wäre es lieber, er würde es tun“, murmelte Alastair zögernd. „Wieviel weißt du bereits?“
„Nur, daß Charles und Michael sich hassen. Michael hat geäußert, Charles habe einen schlechten Charakter und vermutlich seine Frau ermordet, weil er sie absichtlich die Treppe hinuntergestoßen haben soll. Du hast einmal erwähnt, er sei in illegale Geschäfte verwickelt. Das alles erschien mir äußerst unglaubhaft, und ich kann mir auch jetzt noch nicht vorstellen, daß es stimmen soll. Oder doch?“
Alastair schaute Sara nachdenklich an und war sich nicht schlüssig, ob er sie in alle Vorgänge einweihen sollte. Nach einem Moment entschied er sich indes, ihr die volle Wahrheit zu berichten, und sprach über Weldons Spielhöllen, Freudenhäuser und die für ungesetzliche Sklaventransporte eingesetzten Schiffe. Er sagte, Sir Charles wäre ein Mann, der bedenkenlos das Leben anderer zerstörte, und daß Michael deshalb beschlossen hätte, ihm ein für allemal das schmutzige Handwerk zu legen.
Je länger Sara zuhörte, desto mehr begriff sie die Zusammenhänge, auch wenn ihr nicht ganz klar wurde, warum Michael den Baronet mit grenzenlosem persönlichem Engagement haßte. Unversehens zerriß das Bild, das sie sich von ihrem behüteten Leben gemacht hatte, und jäh erkannte sie, daß ungeahnte Abgründe sich vor ihr auftaten. „Weißt du, was Michael vorhat?“ fragte sie beklommen.
„Nein“, antwortete er matt. „Vielleicht findest du etwas im Bureau seines Arbeitszimmers. Ich habe einmal gesehen, daß er Schriftstücke in der obersten rechten Schublade vor meinem Blick verbarg. Es mag sein, daß es Aufzeichnungen über seine Pläne waren.“
„Ich werde nachsehen.“
„Sara, begeh keine Unbesonnenheit!“
„Nein, natürlich nicht“, beruhigte sie Alastair. „Würde es dich stören, wenn ich Mrs. Adams bitte, bei dir zu bleiben? Sie hatte sich dazu erboten, falls ich müde werde und mich ausruhen möchte.“
„Ich brauche kein Kindermädchen“, brummte Alastair ungnädig.
„Nein, in dem Alter bist du nicht mehr“, stimmte Sara lächelnd zu und gab dem Cousin einen Kuß auf die Stirn. „Aber mir ist es lieber, wenn jemand auf dich achtgibt. So, und nun versuche zu schlafen.“ Sie setzte sich wieder in den Sessel und wartete, bis Alastair eingeschlummert war.
Dann läutete sie, schickte das Dienstmädchen die Haushälterin holen und bat Mrs. Adams, die Nachtwache zu übernehmen. Anschließend begab sie sich in Michaels Arbeitszimmer, entflammte eine Kerze
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