Liebe und Vergeltung
sie davor bewahren, eine Dummheit zu begehen. Nun mußte sie begreifen, daß sie sich etwas vorgemacht hatte.
Die Empfindungen für den Prinzen waren stärker als alle Vernunft und jede Rücksichtnahme auf gesellschaftliche Konventionen. Es wäre ihr eine Erleichterung gewesen, hätte sie ähnlich starke Gefühle für Charles aufgebracht. Dazu war sie jedoch nicht fähig, wie sie seit langem wußte. Und nun hatte sie sich, gleich nach der Verlobung und nur kurze Zeit vor der Hochzeit, in einen anderen Mann verliebt.
Eigenartigerweise hatte sie ihm geglaubt, daß er ihr Leben nicht zerstören wollte, aber es traf sie tief, daß er offensichtlich nur ein flüchtiges Abenteuer suchte und sich nicht ernsthaft für sie interessierte. Er hatte zwar geäußert, sie wäre wunderschön und begehrenswert und er wollte nur sie, doch das waren bestimmt nur die schönfärberischen Lügen eines routinierten Verführers. Nur allzu gut wußte sie, daß sie keine bemerkenswert gutaussehende Frau war, im Wesen viel zu in sich gekehrt und obendrein körperlich behindert.
Sie konnte sich auch nur zwei Gründe denken, warum er um sie warb, und beide waren nicht sehr schmeichelhaft. Zum einen war es wahrscheinlich die soziale Stellung, die sie für ihn begehrenswert machte und ihn die Mängel ignorieren ließ, die ihr eigen waren. Zum anderen lag es wohl auch daran, daß sie sich nicht so gegen seine Avancen gesträubt hatte, wie es sich geschickt hätte. Sie war in den Anschein eines leichtfertigen Frauenzimmers geraten und konnte dankbar sein, daß der Prinz die Lage nicht bis zum Letzten ausgenutzt hatte.
Vermutlich hatte sie das dem Umstand zu verdanken, daß er mit Alastair befreundet war. Nun konnte sie nur hoffen, daß niemand je erfuhr, was in Sulgrave Manor geschehen war. Alastair brachte vielleicht noch Verständnis für sie auf; der Vater und Charles hingegen würden ihr zügelloses Verhalten zutiefst mißbilligen und abgestoßen sein, und das zu Recht.
Verzweifelt schloß sie die Augen. Selbst wenn der Zwischenfall des heutigen Nachmittages ihr Geheimnis blieb, konnte sie doch nicht verleugnen, daß sie den eigenen Ansprüchen von Sitte und Moral zuwidergehandelt hatte. Sie hatte sich stets für charaktervoll gehalten. Es war bitter, erkennen zu müssen, daß sie nur deshalb so keusch gelebt hatte, weil ihre Tugend nie in Gefahr geraten war.
Die Tür wurde geöffnet, und die stets verdrossen aussehende Zofe verkündete in mürrischem Ton: „Das Bad ist gerichtet, Madam.“
Unter Schmerzen erhob sich Sara, ging in das Badezimmer und ließ sich von Doreen in die marmorne Wanne helfen. „Ich rufe dich, wenn ich soweit bin“, sagte sie zu der Zofe, lehnte sich zurück und genoß die wohltuende Wärme des Wassers.
Versonnen blickte sie auf das von zierlichem Schnitzwerk umrahmte Bild der Venus, der Amor den Spiegel reichte. Es war ein herrlicher Frauenkörper, den der Maler dargestellt hatte, und unwillkürlich verglich Sara sich mit dieser ebenmäßig gewachsenen Gestalt. Zaghaft strich sie sich über die wohlgeformten Rundungen und fragte sich, wie es sein mochte, Prinz Balagrinis Hände auf sich zu spüren. Sie waren langfingrig, stark und rauh und konnten doch so weich sein, wenn sie sie so erregend gestreichelt hatten. Sie vermeinte, noch immer den sanften Druck seiner Hand auf der Brust zu spüren, und fühlte erneut einen seltsam prickelnden Reiz.
Langsam ließ sie die Finger zu den Schenkeln gleiten und stellte sich vor, dort von Prinz Balagrini berührt zu werden. Der Reiz verstärkte sich, und errötend zog sie die Hand fort. Sie durfte sich nicht solch lasterhaften Wünschen hingeben. Es gehörte sich nicht, Charles auch nur in Gedanken zu betrügen, selbst wenn sie nichts für ihn empfand.
Sara zog die Knie an und rieb sich die verspannten Waden und den schmerzenden Rücken. Flüchtig berührte sie die häßlichen Narben an der rechten Hüfte. Sie hatte eine Infektion in der Wunde bekommen, und eine Zeitlang waren die Ärzte der Meinung gewesen, das Bein müßte amputiert werden. Glücklicherweise hatte dieser drastische Schritt sich dann als nicht notwendig erwiesen, doch die von den folgenden Operationen zurückgebliebenen Narben waren ebenso ein unübersehbares Zeichen der Behinderung wie das leichte Nachziehen des Beines. Sara wußte, sie würde immer darunter leiden, keine makellose Schönheit zu sein, aber achselzuckend sagte sie sich, daß sie mit dieser Erkenntnis leben mußte.
Ihr wurde kühl, und
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