Liebe und Vergeltung
starr, und aus seinen Augen sprach nur kühles Befremden.
Fast wäre sie erneut schwach geworden. Sie sehnte sich danach, in seinen Armen zu sein und seiner Faszination zu erliegen. Und wenn er aufgestanden und zu ihr gekommen wäre, hätte sie gewiß nicht mehr die Willenskraft besessen, ihm zu widerstehen. Zu ihrer Erleichterung blieb er jedoch sitzen, und sie war froh, daß er nicht wußte, welche Macht er über sie hatte.
„Noch sind Sie nicht mit Sir Charles verheiratet“, sagte er ruhig. „Vielleicht sollten Sie gar nicht seine Gemahlin werden. Oder reagieren Sie auch so, wenn er Sie küßt?“
„Das geht Sie nichts an!“ antwortete sie errötend. „Im übrigen heiratet man nicht aus Liebe, sondern weil man sich gegenseitig schätzt und respektiert.“
„Oder weil man sich bereichern will“, entgegnete Mikahl ironisch. „Vergessen Sie die große Mitgift nicht, die Sie Weldon einbringen werden. Seine Geschäfte gehen längst nicht so gut, wie er vorgibt.“
„Sir Charles ist kein Mitgiftjäger!“ erwiderte Sara scharf. „Selbst wenn er es wäre, würde es nichts mehr ändern. Ich bin ihm versprochen und habe sein Vertrauen bereits unverzeihlich mißbraucht.“
„Falls Sie glauben, daß Sie durch die harmlosen Küsse schon einen Vertrauensbruch begangen haben, würde ich auch den letzten Schritt wagen“, äußerte Mikahl spöttisch. „Sie würden es gewiß genießen und wüßten dann wenigstens, warum Sie Schuldgefühle haben.“
„Es kränkt mich, daß Sie sich über mich lustig machen“, sagte Sara verletzt. „Es ist Ihrer nicht wert, auch wenn Sie mir jetzt zürnen.“
„Ich spotte nicht über Sie“, widersprach Mikahl ernst. „Ich finde nur, daß Sie übertreiben. Sie sind eine hübsche Frau. Ich habe Sie geküßt. Es war Ihnen nicht unangenehm. Mehr ist nicht geschehen. Das ist doch kein Verbrechen.“
„Sie mögen achtlos darüber hinweggehen, ich kann es nicht“, entgegnete Sara steif. Wie konnte er behaupten, sie übertreibe, wenn ihr Seelenleben so aus dem Gleichgewicht geraten war. Langsam wandte sie sich ab und setzte sich in einen Sessel, um sich die Schmerzen im rechten Bein etwas zu erleichtern. Plötzlich fielen ihr Bemerkungen ein, die Alastair und Charles über den Status der Frau in Asien gemacht hatten. „Ich habe gehört“, sagte sie leise, „daß in fernöstlichen Ländern Frauen nicht die gleichen Rechte zugebilligt werden, die wir Engländerinnen haben. Wenn Sie glauben, Sir, sich aufgrund unseres sehr viel freieren Verhaltens Freiheiten herausnehmen zu dürfen, sind Sie im Irrtum. Auch wir haben unsere moralischen Grundsätze.“
„Tatsächlich?“ Fragend hob der Prinz die Brauen. „Ich habe Dinge beobachtet, die mich eher das Gegenteil denken lassen.“
Sara wußte, er spielte auf die Damen der Gesellschaft an, die ihn so hingerissen umschwärmt hatten. „Engländerinnen sind nicht mehr oder weniger tugendhaft als die Frauen anderer Länder“, antwortete sie unbehaglich. „Auch bei uns gilt anständiges Betragen sehr viel.“
„Die Moral dieses Landes scheint mir sehr doppelbödig zu sein“, erwiderte Mikahl, stand auf und ging zu Lady Sara. Vor ihr stehenbleibend, fügte er trocken hinzu: „So interessant dieses Gespräch auch ist, wir schweifen vom Kern der Sache ab. Ich habe Sie nie für leichtfertig gehalten, da ich weiß, daß Sie redlich und rechtschaffen sind. Diese Charakterzüge haben mich von Anfang an für Sie eingenommen, Madam.“ Er beugte sich vor und nahm ihr Gesicht zwischen die Hände.
Sie ahnte, daß er sie küssen wollte, und sehnte sich sogar nach einem neuen Kuß. Aber sie durfte dem Impuls der Schwäche nicht nachgeben. „Sie wissen, daß ich Ihnen nicht widerstehen kann“, sagte sie und schaute Prinz Balagrini flehend an. „Aber ich bitte Sie noch einmal, mich nicht mehr zu bedrängen. Für Sie wäre ich nur eine flüchtige Eroberung, aber Sie würden mein Leben zerstören.“
„Das denken Sie von mir?“ fragte Mikahl und ließ die Hände sinken. „Nein, Sara, ich will nicht nur eine Eroberung machen. Ich will auch nicht dein Leben zerstören. Das hättest du nicht verdient.“
„Was wollen Sie dann von mir?“
Mit einer verhalten zärtlichen Geste strich Mikahl ihr langsam eine Locke hinter das Ohr und sagte spröde: „Die Antwort ist einfach. Ich will dich, Sara. Nur dich!“
Verwirrt schüttelte sie den Kopf. Mit solchen Worten hätte ein Engländer eine Liebeserklärung eingeleitet, wahrscheinlich
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