Liebe und Verrat - 2
der Schatten seiner Gestalt unheimlich über das Zelt hin und her wandert. Ich frage ihn mehrmals, ob alles in Ordnung sei, bis er mir schließlich mit strenger Stimme zu verstehen gibt, ich solle endlich schlafen. Meine Besorgnis störe seine Wachsamkeit. Beleidigt halte ich den Mund.
So liege ich lange Zeit mit verkrampften Gliedern im Dunkeln, ehe mich der schwarze Schlaf schließlich mit sich nimmt.
30
Unser neuer Führer ist ganz anders als Gareth.
Das Erste, was mir ins Auge fällt, ist sein knallrotes Haar. Als er sich zu mir wendet, um mich zu begrüßen, wird es von der Sonne förmlich in Brand gesetzt.
»Guten Morgen.« Dimitri neigt leicht den Kopf, stellt sich aber nicht vor.
»Emrys, euer Führer.« Er scheint mir deutlich älter zu sein als Gareth, allerdings nicht so alt wie Edmund.
»Guten Morgen. Ich bin Lia Milthorpe.« Ich strecke die Hand aus, die Emrys kurz schüttelt, ehe er seine beiden Hände wieder in die Hosentaschen stopft.
Ich erwarte, dass er ein Gespräch anfängt, um uns kennenzulernen, bevor wir aufbrechen, aber er tut nichts dergleichen. Er dreht sich einfach um und marschiert auf sein Pferd zu, eine kastanienbraune Stute, die neben unseren Pferden an einen Baum gebunden ist.
»Wir sollten aufbrechen«, sagt er. »Wir haben einen langen Tag vor uns.«
Ich schaue Dimitri an und hebe fragend die Augenbrauen. Er zuckt nur mit den Schultern und steuert auf das Zelt zu. Gemeinsam brechen wir das Lager ab und stopfen das Zelt einfach in Dimitris Satteltaschen und die Decken in meine, während Emrys auf dem Rücken seines Pferdes sitzt und keine Anstalten macht, uns zu helfen. Als ich einmal zu ihm schaue, starrt er zwischen den Bäumen hindurch in die Ferne. Wir haben uns zwar gerade erst kennengelernt, aber bereits jetzt finde ich ihn sehr merkwürdig.
Als wir alles zusammengepackt haben und der Platz so sauber ist, als ob wir niemals dagewesen wären, steigen Dimitri und ich in die Sättel.
Emrys nickt und gibt seinem Pferd die Sporen. Und so beginnt unser zweiter Tag, mit wenigen Worten und noch weniger Fröhlichkeit.
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass wir uns den fehlenden Seiten nähern, oder ob ich schlichtweg paranoid werde, jedenfalls wächst mit dem Fortschreiten des Tages ein ungutes Gefühl in mir heran. Ich kann es nicht erklären, kann es auch nicht auf Emrys schieben, der zwar nicht so gesprächig ist wie Gareth, aber nicht unfreundlich.
Während wir über einen lang gezogenen Hügel reiten, kommt eine Stadt in Sicht, eingebettet in ein schüsselförmiges Tal. In der Ferne streben elegante Türme in die Höhe, bis zum Himmel, so scheint es. Es ist sehr lange her, seit ich eine Stadt gesehen habe, und ich spüre das drängende Verlangen, dorthin zu reiten und mich in einem weichen Bett in irgendeinem Gasthaus schlafen zu legen und Mahlzeiten zu verspeisen, die ich nicht selbst zubereitet habe, durch die Straßen zu schlendern und dies oder jenes zu kaufen oder den Tee in einem eleganten Hotel einzunehmen.
Aber wir reiten nicht zu der Stadt. Emrys zögert nur kurz, als ob er über etwas unentschlossen wäre, und biegt dann links ab. Wir reiten durch ein Weizenfeld, das von der Sonne mit einem goldenen Glanz überzogen wird. In der Ferne wird ein kohlschwarzer Fleck sichtbar. Im Näherreiten erkenne ich, dass es ein steinernes Bauernhaus ist, das am Waldrand steht. Neben dem Haus und der Scheune stehen uralte Bäume und greifen nach den Wolken.
Während wir auf den Hof zureiten, frage ich mich, ob wir dort Rast machen oder vielleicht sogar unseren Führer wechseln – in der Hoffnung auf einen geselligeren Zeitgenossen als Emrys. Aber weder das eine noch das andere trifft zu, und wir reiten am Haus vorbei, vorbei auch an einem kleinen Jungen, der die Hühner füttert, die zu seinen Füßen die Körner von der Erde aufpicken. Neugierig schaut er uns nach.
»Bonjour, Mademoiselle.« Sein Blick trifft meinen und ein Lächeln umspielt den Mund des Jungen.
Frankreich , denke ich und erwidere das Lächeln. »Bonjour, petit homme.«
Sein Lächeln verbreitert sich zu einem Grinsen, und ich freue mich über meine Französischkenntnisse, so unzulänglich sie auch sind.
Die Schatten beginnen gleich hinter dem Haus, und die Sonne verschwindet fast völlig, als wir in den Wald hineinreiten. Er ist nicht so undurchdringlich wie derjenige, durch den wir auf der Reise nach Altus kamen. Das Licht findet seinen Weg zwischen den Bäumen hindurch und malt ein Spitzenmuster
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