Liebe und Verrat - 2
gemacht?
Hastig krieche ich rückwärts über die harte Erde, bis ich gegen einen Baumstamm stoße. Trotz seiner Festigkeit gewährt er mir keinen Schutz. Ich habe keine Möglichkeit zu fliehen.
»Bitte, lassen Sie mich in Ruhe.« Ich höre mich schwach und hilflos an, aber ich habe zu viel Angst, um mir deswegen zu grollen.
Eine Sekunde lang verfluche ich mich selbst. Denn erst jetzt erinnere ich mich an Gareths Worte: Dein Weg wird dich diesmal wohl kaum durch einen Wald führen. Und doch sind wir in einem Wald, und zwar schon seit fast einem ganzen Tag, inmitten dicht stehender, uralter Bäume.
Wir hätten es wissen müssen.
Emrys erhebt sich von den Knien und kommt mit festen Schritten auf mich zu. Diesmal hält er sich nicht mit Worten auf. Diesmal packt er mit Gewalt mein Handgelenk, lässt sich neben meinem Körper zu Boden sinken und beugt sich über mich, während er versucht, mir das Medaillon an das Handgelenk – dasjenige mit dem Zeichen – zu binden. Ich werfe mich mit aller Kraft zurück und bemühe mich, von ihm wegzukommen. Aber er ist zu stark, so sehr ich auch um mich trete und schlage.
Er hat meinen Arm gepackt. Der trockene Samt knistert und schabt über meine Haut, und das Medaillon, so kühl und so erschreckend einladend wie das Meer, in dem ich fast ertrunken wäre, drängt sich gegen mein Fleisch. Emrys’ große Hände machen sich an dem Verschluss zu schaffen und befestigen das Band an meinem Handgelenk, gerade in dem Augenblick, in dem hinter ihm jemand auftaucht, jemand, der sich mit einer brennenden Wut in den Augen rasch nähert.
Ich erkenne Dimitri in seiner Raserei kaum wieder. Seine Augen glühen und von seiner Stirn tropft Blut, aber er ist es. Er zieht Emrys von mir weg und wirft ihn zu Boden. Ich bin nicht schockiert, habe keine Zeit dazu, als Dimitri Emrys mit einer derartigen Heftigkeit schlägt, die ich noch nie bei einem menschlichen Wesen erlebt habe.
Ich fasse nur einen einzigen Gedanken: Ich muss das Medaillon loswerden.
Ich brauche einen Moment, um es von meinem Handgelenk zu lösen. Als der Druck des Metalls verschwindet, durchzieht mich eine Schockwelle, und ich fange so sehr an zu zittern, dass ich das Medaillon fallen lasse. Ich mache mir keine Sorgen, dass ich es verlieren könnte. Es gehört mir. Nur mir. Es wird seinen Weg zu mir zurückfinden, egal was ich tue.
Ich lasse das Medaillon liegen, wo es liegt, und taumele zu Dimitri, ziehe ihn an den Schultern, weil er Emrys, der mittlerweile stöhnend am Boden liegt und sich den Bauch hält, immer noch unablässig schlägt und tritt.
»Aufhören! Hör auf!«, schreie ich. »Du bringst ihn noch um!«
Dimitri atmet so heftig, dass sich sein Brustkorb wie ein Blasebalg hebt und senkt. Als er sich mir zuwendet, ist sein Blick wild und Gefahr verheißend. Er sieht mich an, als wäre ich eine Fremde, und einen panikerfüllten Moment lang frage ich mich angstvoll, ob er den Verstand verloren hat. Ob er nicht mehr weiß, wer ich bin. Aber dann zieht er mich in seine Arme, presst mich fest an sich und vergräbt sein Gesicht in meinem Haar.
Als sich seine Atmung langsam beruhigt, schiebe ich ihn sanft von mir und betrachte mir die Wunde an seinem Haaransatz, aus der Blut tropft. Unwillkürlich strecke ich die Hand aus, ziehe sie dann aber wieder zurück, aus Angst, ihm wehzutun.
»Was ist passiert?«, frage ich.
Er hebt die Hand und wischt etwas von dem Blut ab, betrachtet es dann, als ob es ihm fremd wäre. »Ich weiß nicht. Ich glaube, er hat mich mit irgendetwas niedergeschlagen. Ich war unten am Fluss, und das Nächste, was ich weiß, ist, dass ich die Böschung hinaufkletterte und dich schreien hörte. Ich kam, so schnell ich konnte.«
Ehe ich etwas sagen kann, lenkt das Rascheln von Laub unsere Aufmerksamkeit dorthin, wo Emrys auf dem Boden lag. Unbemerkt hat er sich erhoben und hastet zu den Pferden. Er bewegt sich schnell für einen Mann, der gerade Prügel bezogen hat, springt auf sein Pferd und galoppiert in den Wald hinein, ohne ein weiteres Wort oder einen Blick zurück.
Wir versuchen nicht, ihn aufzuhalten. Damit wäre nichts gewonnen, und natürlich können wir ihm nicht mehr vertrauen.
Ich schaue zu Dimitri. »War er eine der Seelen?«
Dimitri schüttelt den Kopf. »Ich glaube nicht. Wenn das so wäre, wäre er uns wirklich gefährlich geworden. Viel wahrscheinlicher ist, dass er unseren eigentlichen Führer im Auftrag der Seelen aufgehalten oder aus dem Weg geschafft hat, und zwar aus einem
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