Liebe und Verrat - 2
auf den Waldboden. Es ist schön hier, aber trotzdem wird mir die Brust vor lauter Angst eng. Hier erinnert mich alles an den dunklen, gefahrvollen Ritt nach Altus, an diese Tage, an denen ich jegliches Gefühl für Zeit und Raum verlor, beinahe jegliches Gefühl für mich selbst.
Wir erreichen einen Ort, der mein Interesse weckt. Es ist eine bizarr anmutende, moosbewachsene Steinsäule, die geradewegs aus dem Waldboden zu wachsen scheint. Es ist kein ungewöhnlicher Anblick, denn überall in Europa gibt es solche Opfersteine und heiligen Orte. Dieser allerdings erinnert mich an Avebury, den uralten Steinkreis, der in der Prophezeiung erwähnt wird.
Ich kann meine Augen kaum von der Säule lösen, als wir vorbeireiten. Emrys ist schweigsam und zeigt an nichts Interesse, wie immer, und auch Dimitri hinter mir bleibt still. Ich unternehme keinen Versuch, einen von beiden über den Stein auszufragen.
Etwas später wird Emrys langsamer und schaut über die Schulter hinweg zu uns. »Vor uns gibt es Wasser. Das ist ein guter Rastplatz.«
So viele Worte hat er nicht gesagt, seit wir heute Morgen aufgebrochen sind. Ich nicke zustimmend. »Eine Rast wäre herrlich.« Ich füge ein Lächeln bei, der guten Ordnung halber. Ich habe fast den Eindruck, dass er es erwidern will, dass es ihm allerdings fast körperliche Schmerzen zu bereiten scheint.
Anders als die meisten Wasserläufe, auf die wir bislang gestoßen sind, fließt dieser nicht durch eine Lichtung, sondern liegt halb verborgen im Schatten des Waldes. Es ist ein Bach, der sich zwischen den Bäumen hindurchwindet, nicht mit einem rauschenden Brüllen, sondern mit einem fröhlichen Gurgeln. Wir steigen ab, löschen unseren Durst und füllen unsere Wasserflaschen.
Ich bin überrascht, als Emrys mich direkt anspricht. »Lassen Sie mich nach den Pferden sehen, während Sie sich ausruhen, Miss. Ich könnte mir vorstellen, dass die Reise bislang schon recht anstrengend war. Wir werden unser Ziel bei Einbruch der Nacht erreichen. Wir haben noch Zeit für eine Ruhepause.«
»Oh! Nun ja … das ist nett von Ihnen, aber ich möchte Ihnen wirklich nicht zur Last fallen.« Ich erwähne nicht, dass die Vorstellung von einer Rast – selbst einer ganz kurzen – einfach himmlisch ist.
Dimitri, ebenfalls verblüfft von Emrys Hilfsbereitschaft, stimmt ihm zu. »Emrys hat recht, Lia. Du siehst müde aus. Wir kümmern uns um die Pferde.«
Die Kraft scheint förmlich aus meinem Körper heraus in die Erde zu strömen, allein schon bei dem Gedanken an Ausruhen. »Wenn du meinst …«
Dimitri beugt sich vor und küsst mich auf die Wange. »Ich meine. Mach für ein paar Minuten die Augen zu. Wir tränken derweil die Pferde.«
Ich suche mir ein sonnenbeschienenes Fleckchen nicht weit vom Bach entfernt und lasse mich in dem trockenen Gras nieder. Ich strecke mich lang aus und merke, wie die Unruhe der vergangenen Nacht ihren Tribut fordert. Bereits nach wenigen Augenblicken hat mich das sanfte Plätschern des Wassers in den Schlaf gesungen.
Dimitris zarte Berührung auf meinem Handgelenk weckt mich aus meinem Schlummer. Seine Finger streicheln mich sanft, und ich lächle, will den Moment, in dem wir wieder in den Sattel steigen, hinauszögern.
»Du wirst mich nicht dazu bringen, aufzustehen.« Meine Stimme ist träge und schlaftrunken.
Er nimmt meine Hand und ich fühle, wie etwas Weiches über die zarte Haut an der Unterseite meines Handgelenks gleitet.
»Du hörst mir nicht zu«, sage ich und rekele mich, immer noch lächelnd.
Die Stimme, die mir antwortet, ist so leise, als ob sie nicht gehört werden will. »Es ist ganz leicht, wenn Sie nur das tun, was sie sagen.«
Es ist nicht Dimitris Stimme.
Ich öffne meine Augen und ziehe die Hand zurück, als ich Emrys erkenne, der auf den Knien vor mir hockt und etwas in der Hand hält. Etwas aus schwarzem Samt. Das Band. Das Medaillon.
»Was … was machen Sie da? Geben Sie das her! Das gehört Ihnen nicht!«
Ich betrachte mein Handgelenk, nur um sicher zu sein, aber ja, das Medaillon wurde entfernt, während ich schlief. Hastig schaue ich mich um, ob ich Dimitri irgendwo entdecken kann, wobei meine Augen immer wieder zu Emrys zurückzucken. Aber das Ufer ist menschenleer.
»Ich will Ihnen nicht wehtun. Ich tue nur, was mir befohlen wurde.« Emrys wirkt sehr gelassen und seine Sorglosigkeit macht mir mehr Angst als alles andere. Augenscheinlich muss er nicht befürchten, von Dimitri gestört zu werden.
Was hat Emrys mit ihm
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