Liebe und Verrat - 2
gleich.« Sonias Worte kommen schleppend. Sie ist völlig erschöpft. Aufseufzend rutscht sie von ihrem Sitzplatz zu Boden, legt den Kopf auf den Stein und schlingt die Arme darum. Sie ist eingeschlafen, noch ehe ich mich entfernt habe.
Ich bitte Edmund um eine Aufgabe, irgendeine Arbeit, die mich wach hält und meine ganze Konzentration verlangt. Er freut sich über mein Angebot und reicht mir ein paar Kartoffeln und ein kleines Messer, obwohl ich bislang allerhöchstens das eine oder andere Mal Toast zubereitet habe. Jede Kartoffel, die ich in meinem Leben gegessen habe, war entweder gekocht, gebraten oder zu Brei zerdrückt. Aber ich sehe ein, dass sich Kartoffeln nicht selbst zubereiten können, und so fange ich an, sie zu schälen und zu zerkleinern. Es stellt sich heraus, dass selbst eine so einfach scheinende Aufgabe wie Kartoffelschälen eine gewisse Kunstfertigkeit erfordert, aber nachdem ich mir einige Male beinahe in den Finger geschnitten hätte, habe ich den Bogen raus.
Ein paar Stunden später habe ich gelernt, wie man über einem offenen Feuer eine Mahlzeit zubereitet, und habe sogar gemeinsam mit einer müden, schweigsamen Luisa das Geschirr in einem nahen Fluss gespült. Meine jüngsten Erfahrungen – das Ertrinken meines Bruders und der Umstand, dass ich selbst beinahe in den Fluten umgekommen wäre – haben in mir eine tief sitzende Angst vor fließendem Gewässer geweckt, und ich achte sorgfältig darauf, dass ich der Strömung nicht zu nahe komme, auch wenn sie in diesem Fluss nur sanft dahinplätschert.
Es ist dunkel und – obwohl ich die genaue Zeit nicht weiß – vermutlich schon spät, als Sonia und Luisa auf das Zelt zusteuern, das wir drei miteinander teilen. Ich sitze neben Edmund am Feuer und wärme mich, fühle mich ruhig und geborgen. Ich weiß, dass das zum großen Teil an seiner Gegenwart liegt. Ich drehe mich zu ihm und schaue in sein Gesicht, das von den Flammen flackernd erhellt wird.
»Ich danke Ihnen, Edmund.« Meine Stimme klingt ungebührlich laut in der Stille des Waldes.
Er schaut mich an. Sein Gesicht wirkt im Feuerschein jünger. »Wofür, Miss?«
Ich zucke mit den Schultern. »Dass Sie gekommen sind. Dass Sie auf mich aufpassen.«
Er nickt. »In Zeiten wie diesen …« Er zögert und wirft einen Blick in die Dunkelheit des Waldes, als ob er klar und deutlich die Gefahr sehen könnte, die vor uns liegt. »In Zeiten wie diesen muss man dafür sorgen, dass man seine engsten Vertrauten an seiner Seite hat.« Er sieht mich wieder an. »Ich möchte gerne glauben, dass ich auf Ihrer Liste ganz oben stehe.«
Ich lächle ihn an. »Das tun Sie. Sie gehören zur Familie, Edmund. Sie sind genauso ein Teil von mir wie Tante Virginia und …« Ich kann Henrys Namen in Edmunds Gegenwart nicht aussprechen. Edmund liebte ihn wie seinen eigenen Sohn. Er ertrug seinen Tod mit stillen Tränen und ohne den Vorwurf auszusprechen, den ich gewiss verdient habe.
Seine Augen wandern wieder zu den Bäumen hinüber und er starrt erneut in die Nacht. Auch er ist in Gedanken bei jener schmerzvollen Erinnerung, die wir beide gerne verdrängen möchten. »Henrys Verlust hätte mich beinahe umgebracht. Und nachdem Sie fort waren … nun, es kam mir so vor, als hätte das Weiterleben keinen Sinn mehr.« Er schaut mich an und ich sehe in seinen Augen die Qual, die so frisch ist wie an dem Tag nach Henrys Beerdigung, als er mich in der Kutsche zu James brachte, den ich ein letztes Mal sehen wollte. »Es war Alice, die dafür sorgte, dass ich mit Miss Virginia nach London reiste.«
»Alice?« Ich kann mir nicht vorstellen, dass mir meine Schwester willentlich einen Gefallen tun würde.
Er nickt langsam. »Sie zog sich immer mehr zurück, nachdem Sie Birchwood verlassen hatten. Tagelang ließ sie sich nicht blicken, und als sie schließlich wieder auftauchte, wusste ich sofort, dass es keine Rettung mehr gab. Wir hatten sie an die Anderswelten verloren.«
»Und dann?«, fragte ich.
»Ich habe sie beobachtet: Man konnte sehen, wie ihre Seele mit jedem Tag schwärzer wurde. Und da war mir klar, dass Sie jede Unterstützung brauchen, die Sie bekommen können. Es mag ein Ozean zwischen Ihnen und ihr liegen, aber Sie sollten dennoch auf der Hut sein.« Er schwieg kurz und schaute mir eindringlich in die Augen. »Sie könnte genauso gut jetzt hier neben uns sitzen. Und sie ist immer noch genauso rücksichtslos wie damals, als Sie beide unter einem Dach lebten. Wahrscheinlich sogar noch
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