Liebe und Verrat - 2
sich etwas auf dem Waldboden, erst in die eine Richtung, dann in die andere. Es ist ein ätherisches Wesen, eine Erscheinung, die zwischen den Bäumen hin und her saust. Ich halte es für ein Tier, aber ich kenne keine Kreatur des Waldes, die sich so schnell bewegt, dass es den Anschein hat, als wäre sie in jedem Winkel des Waldes gleichzeitig.
Dann höre ich das Atmen.
Etwas atmet schwer, wie unter einer großen Anstrengung, aber es ist kein menschliches Atmen. Es kommt aus allen Richtungen, und obwohl ich keine Ahnung habe, was für eine Kreatur dort im Wald herumhetzt, ist es für mich keine Beruhigung, dass sie sich unterhalb von mir befindet. Ich weiß ganz genau, dass die Gesetze der Physik in den Anderswelten nicht gelten. Ich weiß ebenso, dass ich meine Angst nicht ignorieren darf. Sie hat mich schon mehr als einmal gerettet.
Die Kreatur kommt näher. Der Atem ist nirgends und überall zugleich. Es gibt nichts, woran ich mich in dem Wald unter meinem fliegenden Ätherleib orientieren könnte. Nur eine endlose Fläche aus Bäumen, durchbrochen von der einen oder anderen kleinen Lichtung. Trotzdem weiß ich, dass ich mich dem sicheren Hafen nähere. Ich fühle den Zug der Astralschnur. Sie flüstert mir zu: Du bist fast da. Wenn ich noch eine kleine Weile fliege, erreiche ich meinen Körper.
Kurz darauf erblicke ich vor mir die Lichtung. Ein feiner Rauchfaden kräuselt sich von dem erkaltenden Lagerfeuer in die Höhe. Unsere zwei Zelte stehen Seite an Seite und ganz in der Nähe sind die Pferde angebunden. Ich steuere auf das größere Zelt zu. Dort liegen Sonia und Luisa vermutlich in tiefem Schlaf. Und ich ebenfalls. Das bedrohliche Atmen ist immer noch da, aber ich glaube nicht, dass die Kreatur mir gefährlich werden kann. Ich wurde heute Nacht nicht in die Anderswelten gezogen, um meine Seele einfangen zu lassen.
Was mir begegnete, war keine wirkliche Bedrohung. Es war eine Warnung.
Mühelos lasse ich mich in meinen Körper fallen. Das Aufschrecken, das die Wiedervereinigung von wirklichem und Astralleib bei den ersten Malen begleitete, ist längst vergangen. Stattdessen erwache ich einfach. Es dauert eine Weile, bis sich mein rasendes Herz beruhigt hat, aber selbst dann kann ich nicht mehr einschlafen. Ich weiß nicht, ob ich es mir nur einbilde oder ob es noch der Nachhall der Anderswelten ist, jedenfalls glaube ich, Bewegungen vor dem Zelt wahrzunehmen. Ein Rauschen, ein Schaben, zögerliche Schritte auf dem feuchten Waldboden.
Ich schaue zu Sonia und Luisa, die friedlich schlafen, und fürchte, den Verstand zu verlieren.
8
Am nächsten Morgen trete ich mit schläfrigen Augen und einem schweren Kopf aus dem Zelt. Ein schmutzig grauer Nebel hat sich über das Lager gelegt. Die Luft ist schwer und feucht, und man kann nur wenige Schritte weit sehen. Ich höre die Pferde wiehern und meine Reisegefährten sich miteinander unterhalten, aber alles scheint durch eine dicke Schicht Wolle zu dringen. Ich fühle mich sehr allein, obwohl ich weiß, dass die anderen nicht so weit weg sind, wie es den Anschein hat.
Wir nehmen ein eiliges Frühstück zu uns und brechen dann das Lager ab. Nachdem ich Edmund geholfen habe, den Proviant und das Kochgeschirr zusammenzupacken, gehe ich zu unserem Zelt, um Sonia und Luisa mit dem Bettzeug zur Hand zu gehen. Luisa stopft gerade Kleidungsstücke in einen Sack, als ich eintrete.
Sie schaut auf. »Wir können von Glück sagen, wenn wir einander in diesem Nebel erkennen, aber ich habe keine Ahnung, wie wir unseren Weg finden sollen.«
Ich bilde mir ein, eine Anspannung in ihren Worten zu spüren, obwohl ihr Gesicht nichts verrät.
»Wir können nur hoffen, dass es nicht auch noch anfängt zu regnen.« Ich will mir gar nicht vorstellen, wie unangenehm unser Ritt durch den Wald werden könnte, wenn wir es nicht nur mit dichtem Nebel, sondern auch noch mit sintflutartigem Regen zu tun bekämen. »Wo ist Sonia?«
Luisa wedelt mit der Hand zur Baumlinie, ohne von ihrem Kleidersack aufzublicken. »Austreten«, sagt sie.
»Ich dachte, wir hätten ausgemacht, dass wir nicht allein das Lager verlassen.«
»Ich habe angeboten, sie zu begleiten, aber sie meinte, sie hätte einen ausgezeichneten Orientierungssinn und würde rechtzeitig zurück sein, bevor wir aufbrechen.« Sie zögert kurz und fährt dann fort, wobei ihre Worte mit Sarkasmus gewürzt sind. »Obwohl ich mir denken kann, dass sie, ohne zu zögern, akzeptiert hätte, wenn du ihr deine Begleitung angeboten
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