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Liebe und Verrat - 2

Liebe und Verrat - 2

Titel: Liebe und Verrat - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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wie die Frauen, die unser Boot gerudert haben. Die Konturen, die sich unter diesen Gewändern abzeichnen, sind schlank und zierlich, und daher weiß ich, dass es Frauen sind. Sie scheinen uns mit einer gewissen Förmlichkeit zu erwarten.
    Als Erste steigen Edmund und Sonia aus, gefolgt von Luisa. Ich gehe vor Dimitri von Bord. Er stellt mich den Wartenden als Amelia Milthorpe, Lady Abigails Großnichte, vor, und die Frauen verbeugen sich vor mir. Aber in ihren Augen liegen offenes Misstrauen und sogar Ablehnung.
    Nachdem auch die anderen unserer Gesellschaft vorgestellt wurden, geht Dimitri auf die Frauen zu und begrüßt jede einzelne von ihnen persönlich mit leisen Worten. Dann bleibt er vor der Frau am Kopf der Reihe stehen. Sie ist älter als die anderen, vielleicht sogar älter als Tante Virginia, aber als sie die Kapuze zurückschlägt, um Dimitri auf die Wange zu küssen, entblößt sie dabei rabenschwarzes Haar ohne eine einzige graue Strähne. Das Haar ist zu einem raffinierten Knoten aufgesteckt, aber es ist deutlich zu erkennen, wie lang es ist. Offen muss es fast bis zum Boden reichen. Er flüstert ihr etwas zu und schaut zu mir. Die Frau nickt und kommt auf mich zu. Ihr Blick durchbohrt mich. Ich fühle mich plötzlich angegriffen.
    Ihre Stimme ist weich und warm. Sie straft die Angst Lügen, die der Blick in mir auslöst. »Amalia, willkommen auf Altus. Wir haben deine Ankunft erwartet. Bruder Markov erklärte mir soeben, dass du sehr müde bist und Schutz und Unterkunft benötigst. Bitte erlaube uns, dir beides zur Verfügung zu stellen.«
    Sie wartet nicht ab, bis ich ihr geantwortet habe. Und sie wartet auch nicht ab, ob ich ihr folge. Sie dreht sich einfach um und geht einen steinernen Pfad entlang, der sich bis zur obersten Spitze der Insel zu winden scheint. Dimitri greift nach meiner Hand, nimmt meine Tasche und führt mich. Die anderen folgen uns, wobei die Frauen der Insel den Schluss unseres Zuges bilden.
    Etwa auf halbem Weg den Hügel hinauf bekomme ich Angst, dass ich es nicht schaffen werde. Meine Erschöpfung, im Zaum gehalten durch den entsetzlichen Fall ins eiskalte Wasser, dringt mir wieder ins Bewusstsein, während wir über das friedliche Eiland spazieren. Der Angriff auf die Sinne ist überwältigend – das strahlende Rot der Äpfel an den Bäumen, wohin man auch blickt, die farbenprächtigen Gewänder der Inselbewohner, die ihre Gesichter verbergen – geheimnisvoll und unheimlich –, das üppige Grün des federnden Grases entlang des Pfads, und dieser sanfte, süße Duft, der mich an meine Mutter erinnert. Ich nehme alles wahr, aber wie in einem Strudel, der mich überwältigt und gleichzeitig unwirklich erscheint.
    Luisa sagt etwas, aber ihre Stimme scheint aus meinem eigenen Kopf zu kommen. Sie ist sowohl lauter und zugleich gedämpfter als gewöhnlich. »Himmel noch mal«, stöhnt sie. »Gibt es hier keine Kutschen oder Pferde? Es muss doch eine andere Möglichkeit geben, diesen endlosen Hügel zu erklimmen, als zu laufen.«
    »Die Schwestern glauben, dass es der Seele guttut, wenn man zu Fuß geht«, sagt Dimitri, und obwohl ich todmüde bin, glaube ich, ein Schmunzeln in seiner Stimme wahrzunehmen.
    Luisa findet das gar nicht lustig. »Meiner Meinung nach ist Bequemlichkeit für die Seele am allerbesten.« Sie bleibt stehen und wischt sich mit dem Ärmel über die Stirn.
    Ich versuche weiterzugehen. Einen Fuß vor den anderen zu setzen. Wenn ich das tun kann, wenn ich in Bewegung bleibe, werde ich schon das Ende des Weges erreichen. Denke ich. Aber mein Körper hat etwas ganz anderes im Sinn. Er gehorcht mir nicht mehr. Plötzlich bleibe ich stehen, mitten auf dem Weg.
    »Lia? Alles in Ordnung?« Dimitri steht vor mir. Ich fühle seine Hand auf meinem Arm. Sehe die Sorge in seinem Gesicht.
    Ich will ihn beruhigen. Will ihm sagen, dass es mir gut geht. Natürlich geht es mir gut. Ich muss nur weitergehen, bis ich mich irgendwann in Würde hinlegen und ausruhen kann. Ausruhen, ohne Angst haben zu müssen, dass die Seelen Gewalt über das Medaillon bekommen, das schwer auf meinem Handgelenk und auf meinem Geist lastet.
    Aber ich sage nichts dergleichen. Ich sage überhaupt nichts, weil die Worte, die mir in Gedanken so vernünftig erscheinen, nicht über meine Lippen kommen wollen. Schlimmer noch, meine Beine wollen nicht länger meinen Körper tragen. Der Boden rast mit besorgniserregender Geschwindigkeit auf mich zu, und dann hebt mich etwas empor.
    Dann weiß ich nichts

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