Liebe und Verrat - 2
dass sie kaum älter als zwölf Jahre ist.
»Natürlich. Danach wollte ich gerade fragen. Du hast so schöne Haare.« Ich strecke die Hand aus und berühre eine der glänzenden Locken. Sie schimmert golden, trotz des schwachen Kerzenscheins. Ein Stich durchzuckt mein Herz. »Es erinnert mich an eine liebe Freundin.«
»Doch nicht etwa diejenige, die sie verstecken?« Der Vergleich scheint sie wütend zu machen.
»Ich weiß nicht, was man mit ihr gemacht hat. Ich weiß nur, dass sie mir so lieb und teuer ist wie eine Schwester.« Dann wechsele ich schnell das Thema. »Und? Wie heißt du?«
»Astrid.« Die Art und Weise, wie sie ihren Namen ausspricht, lässt keinen Zweifel daran, dass er ihr gefällt.
Ich lächle, obwohl es sich mehr nach einer Grimasse anfühlt. »Das ist ein sehr schöner Name.«
Mein Geist, angeregt durch das nichtssagende Gespräch über Haare und Namen, wird beweglicher. Ich will mich auf die Ellbogen aufstützen, in der Hoffnung, mich ankleiden und Dimitri und die anderen suchen zu können, aber meine Arme werden unter dem Gewicht meines Körpers schwach und ich falle wieder auf das Kissen.
Aber das ist nicht das Schlimmste.
Das Schlimmste ist, dass mein Oberkörper bei meinem Versuch, mich aufzurichten, durch die nach unten rutschende Decke entblößt wird. Er ist nackt. Ich greife nach dem Saum der Decke und ziehe sie rasch bis zum Kinn nach oben. Dabei merke ich zu meinem Schrecken, wie weich und leicht sie über meinen Körper gleitet. Über meinen gänzlich nackten Körper.
Es dauert ein paar Sekunden, bis meine Sprachlosigkeit weicht. Dann sprudeln mir die Worte aus dem Mund: »Wo sind meine Sachen?!«
Astrid kichert wieder. »Wäre es dir lieber gewesen, du hättest dich in deiner Reisekleidung schlafen gelegt?«
»Nein, aber … jemand hätte mir doch ein Nachthemd bringen können … ein Untergewand … irgendetwas. Oder habt ihr hier auf Altus etwa keine Kleidung?« Sofort bereue ich die Schärfe meiner Worte, aber die Vorstellung, dass mich Fremde nackt ausgezogen haben, ist mir unerträglich.
Astrid beäugt mich verständnislos, als ob ich ein exotisches Tier wäre. »Natürlich haben wir Kleidung, aber warum sollte man etwas am Leib tragen, wenn man schläft. Ist das nicht furchtbar unbequem?«
»Selbstverständlich nicht!«, begehre ich auf. »Man trägt ein Nachthemd.«
Das Gespräch ist einfach nur lächerlich. Es ist, als ob man einem Blinden die Welt der Farben erklären wollte. Ich ignoriere die sündhafte Stimme in meinem Kopf, die in ihrer Argumentation eine gewisse Vernunft erkennt. Aber das angenehme Gefühl der Decke auf meiner Haut kann ich nicht so leicht beiseite wischen.
»Wenn du es sagst.« Astrid lächelt verschmitzt, als ob sie mich genau durchschauen und meine Gedanken lesen könnte.
Ich hebe das Kinn und versuche, mir etwas von der abhandengekommenen Würde zurückzuholen. »Ja … ähm … Ich hätte jetzt gerne mein Gepäck. Mit meiner Kleidung.«
Sie legt schelmisch den Kopf schräg. »Ich glaube eher, dass du etwas zu essen brauchst und ein bisschen Ruhe, bis du wieder aufstehen kannst.«
»Es gibt Dinge, die ich erledigen muss. Leute, mit denen ich sprechen will.«
Sie schüttelt den Kopf. »Das wird nicht gehen. Ich habe strenge Anweisung, dafür zu sorgen, dass du isst und dich ausruhst. Außerdem siehst du ja selbst: Du bist viel zu schwach, um aufzustehen.«
Plötzlich sind mir Astrids Gekicher und ihre altklugen Blicke zuwider.
»Ich möchte gerne mit Una sprechen.« Ich überlege, ob sie beleidigt ist, aber sie erhebt sich nur seufzend.
»Wie du willst. Ich werde sie rufen. Kann ich irgendetwas für dich tun, während du auf sie wartest?«
Ich schüttele den Kopf und überlege mir gleichzeitig, ob ein Knebel für ihr herablassendes Mundwerk zu viel verlangt wäre.
Wortlos verlässt sie den Raum, und ich warte in einer Stille, die so absolut ist, dass ich mich frage, ob die Welt außerhalb dieses Zimmers überhaupt noch existiert. Ich höre weder Stimmen noch Schritte oder das Klappern von Besteck auf Porzellan. Nichts, was mir beweist, dass hier Menschen wohnen, essen und atmen.
Ich schaue mich im Zimmer um, wobei ich mir die Decke bis unters Kinn ziehe. So liege ich, bis der leichte Schritt von gemessen schreitenden Füßen erklingt. Die Tür schwingt ohne ein Geräusch auf, und ich staune, dass eine solche Tür – scheinbar aus einer schweren Eichenplatte geschnitzt – sich so lautlos bewegen lässt.
Ebenso lautlos
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