Liebe und Verrat - 2
Prozess.«
Ich drehe mich wieder um, sodass ich mit dem Rücken an seiner Brust lehne. Ich will nicht, dass er auf meinem Gesicht die Trauer und die Wut sieht, und den Unglauben. »Du denkst also, dass Sonia schon eine ganze Weile unter dem Einfluss der Seelen steht.«
Ich erwarte keine Antwort, bekomme sie aber trotzdem. »Ich halte es für wahrscheinlicher, dass es so ist. Du nicht auch? Ich denke, dass die Verführung durch die Seelen ganz harmlos anfing, möglicherweise durch jemanden in Verkleidung.«
»Aber … das würde heißen …« Ich spreche nicht weiter.
Dimitri tut es an meiner statt. »Das würde heißen, dass Sonia dir vielleicht nicht so assistierte, wie sie es hätte tun können – ob nun zufällig oder absichtlich.« Er streicht mir übers Haar. »Wusstest du zum Beispiel, dass auch du eine Zauberin bist, genau wie deine Schwester? Du wirst Zeit brauchen, um diese Fähigkeit zu beherrschen, aber du hast sie. So viel ist sicher. Und ich könnte mir vorstellen, dass Sonia das wusste.«
Ich kann ihm nicht in die Augen schauen, obwohl ich geahnt habe, dass er das sagen würde. Ich weiß nicht, warum, aber ich schäme mich, obwohl es doch Sonia ist, die unsere Sache verraten hat. Es ist Sonia, die mich betrogen und getäuscht hat. Trotzdem komme ich mir unsagbar naiv vor.
Und jetzt ergibt auch alles einen Sinn, gleichwohl ich wünschte, dass es nicht so wäre.
Sonia hat mir – unter dem Einfluss der Seelen stehend – geholfen, meine Fähigkeiten zu verfeinern, aber nur gerade so viel, dass ich glauben musste, stärker zu werden. Dass ich glaubte, eine Chance im Kampf gegen Samael zu haben. Gerade so viel, dass ich nicht nach mehr verlangte. Dass ich nicht auf die Idee käme, da wäre mehr. Als sie darauf bestand, dass wir nur noch zusammen mit den Schwingen reisen sollten, wollte sie mich nicht schützen, sondern vielmehr jeden meiner Schritte überwachen. Ihre Angst, ich würde mich bei der Ausbildung meiner Gaben übernehmen, war in Wahrheit die Sorge, ich könnte zu mächtig werden.
Aber wenn ich daran denke, wie sie in jener Nacht darauf gedrängt hat, dass ich das Medaillon trage, wie ihre Augen vor Irrsinn glitzerten, spielt es keine Rolle mehr, ob ihr Verrat freiwillig geschah oder ob sie dazu verführt wurde. Wichtig ist nur das Ergebnis.
Ich fange an zu zittern. Nicht aus Furcht. Nicht einmal aus Trauer. Nein. Aus reiner, unverblümter Wut. Ich traue mich nicht, zum Bug der Barke zu schauen, wo Sonia zusammengesunken kauert, weil ich Angst habe, dass ich mich sonst auf sie stürzen und sie über Bord werfen würde.
Meine Wut – nein, meine Rage – erschreckt mich selbst. Gleichzeitig ergötze ich mich an ihrer Kraft, wobei ich nicht darüber nachdenke, dass dies ein Beweis dafür ist, wie sehr ich mich verändert habe. Noch niemals habe ich einen derartigen Zorn empfunden. Nicht einmal auf meine Schwester. Vielleicht, weil ich Alice schon immer gefürchtet habe, immer gewusst habe, dass ich ihr nicht ganz trauen kann, obwohl es viele Jahre gedauert hat, bis ich in der Lage war, mir dies einzugestehen.
Aber Sonia. Mit Sonia war es etwas ganz anderes. Ihre Reinheit, ihre Unschuld ließen mich an das Gute glauben. Ich konnte glauben, dass es Hoffnung gibt. Die Zerstörung dieses Glaubens macht mich wütender als alles andere.
Dimitri reibt mir mit beiden Händen die Schultern. »Sie ist nicht sie selbst, Lia. Das weißt du genau.«
Ich kann bloß nicken.
Wir sitzen in der Stille des allumfassenden Nebels. Er ist noch dichter geworden, seit man mich aus dem Wasser gezogen hat. Die anderen im Boot sind nur noch schemenhaft zu erkennen, nur noch Schattengestalten im Nebel. Und dann, ganz plötzlich, kommt die Barke zum Stillstand.
Ich setze mich auf. »Warum halten wir an?«
»Weil wir angekommen sind«, sagt Dimitri hinter mir.
Ich setze mich auf eine der Planken, die als Sitz dienen, und versuche, irgendetwas zu erkennen. Aber es hat keinen Sinn. Der Nebel ist undurchdringlich.
»Warum fahren wir nicht weiter?« Luisas Stimme, die von der Mitte des Boots her zu uns schallt, klingt schläfrig.
»Wir haben Altus erreicht«, sagt Dimitri.
Sie schaut ihn an, als ob er verrückt geworden wäre. »Das müssen Sie sich einbilden. Hier gibt es doch nichts außer diesem verdammten Nebel.«
Entweder werde ich aus Schlafmangel langsam hysterisch, oder ich kann mich wirklich wieder über Dinge amüsieren. Jedenfalls muss ich über ihre wenig damenhafte Ausdrucksweise laut
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