Liebe und Völkermord
ließ sich viel Zeit. Als sie ankam, saß er am Rande des Bergkamms. Sie setzte sich zu ihm hin. Ihre Beine hingen vom Bergkamm herunter. Es war schon gefährlich, sich dort hinzusetzen, aber der Boden unter ihnen war felsig und einsturzsicher.
Aziz erklärte Stephan mit Handzeichen, er solle allein ins Dorf zurückgehen. Der Armenier nickte und entfernte sich. Zur Sicherheit blieb er noch eine Weile lang stehen und schaute ihm nach. Als Stephan das Dorf betrat, drehte Aziz sich um und eilte wieder zurück. Die Neugier ließ ihn nicht in Ruhe. Er musste unbedingt wissen, was Magdalena und Johannes dort trieben. Womöglich waren sie also doch ein Liebespaar. Dann hätte Magdalena ihn angelogen. Doch das konnte er einfach nicht glauben. Um die Wahrheit zu erfahren, ging er zurück. Er betrat wieder jene Stelle des Hügels, wo sie zuvor verweilt waren. Er schaute sich um, doch sah er niemand. Im Halbschritt ging er vorwärts und hielt Ausschau nach den beiden. Er sah niemand. Dann rannte er in Richtung Süden, zum niedrigsten Teil des Hügels vor ihm und bestieg den Hügel nordwärts. Zu seinem Glück befand sich kein Mensch hier. Einst war mal ein kurdischer Attentäter von einem tapferen Badebojo hier gefasst worden. Der Mann war Aziz' Urgroßvater gewesen, also der Vater von Isa, Matthias' Vater. Vor allem deswegen liebte Aziz es, diesen Ort aufzusuchen.
Er stieg weiter den Hang hinauf, bis er hoch genug stand, um auf die tiefer gelegenen Hügel und Täler schauen können. Nun endlich hatte er sie erblickt. Sie standen am Kamm vor der Höhle. Er konnte erkennen, sie schauten sich gegenseitig an und sprachen miteinander. So neugierig war er wirklich noch nie in seinem Leben gewesen. Er überlegte, wie er sich heimlich an sie heranschleichen konnte. Dann sah er plötzlich schockiert, wie sie Seite an Seite in die Höhle gingen. Tausend Gedanken gingen ihm nun durch den Kopf. Sein Herz raste und er war wütend. Warum ging seine Herzensdame mit diesem Johannes zusammen in eine Höhle? Sie war also doch seine Geliebte. Enttäuscht, desillusioniert und aufgebracht machte er sich auf den Weg zurück ins Dorf, doch kurz bevor er das Dorf betrat, blieb er stehen. Er wollte mit seinen eigenen Augen sehen, wie sie in seinen Armen lag, denn sie würde es vor ihm zweifellos abstreiten, die Geliebte des Johannes zu sein. So eilte er südwärts des Kamms, dort konnte er an dem tiefsten Punkt dieses Hügels hinüber zum anderen Hügel springen und von dort aus hinaufsteigen und nach nur wenigen Schritten die Höhle erreichen. Als sie in Reichweite war, schlich er sich nur noch voran.
Johannes hatte Magdalena überreden können, mit ihm die Höhle zu betreten. Sie war nicht so groß wie die von Matthias, sie bot Raum für höchstens vier Personen. Er hatte ihr gesagt, er wolle ihr etwas Persönliches sagen und draußen würde sie vielleicht jemand hören.
Sie standen sich genau gegenüber, direkt voreinander. Er guckte auf sie herab, er betrachtete sie, schaute ihr erst in die Augen, dann fasste er ihr lockiges Haar mit seiner linken Hand an. Sie schaute ihm streng in die Augen. Zwar hielt sie ihn für harmlos, doch dieser Moment war ihr peinlich genug und sie wusste nicht, was sie ihm erwidern sollte, wenn er ihr den Hof machen würde.
„Du weißt, was ich für dich empfinde. Ich liebe dich, Magdalena.“
Sie senkte ihren Blick. Was sollte sie ihm nun antworten? Sie wollte ihn nicht verletzen und auch nicht reizen.
„Du bist das schönste Mädchen, das ich kenne. Ich will dir mein Versprechen geben, dass ich dich immer lieben werde.“
Sie fühlte sich schon geschmeichelt, doch ihr Herz schlug nicht höher in seiner Gegenwart, ihr Herz verlangte nie nach seiner Anwesenheit, seiner Nähe und seiner Zärtlichkeit.
„Du gehörst mir. Versprich mir, dass du meine Braut wirst!“
Nun wurde ihr unbehaglich. Sollte sie ihn anlügen? Aber wer konnte schon wissen, was die Zukunft bringen würde. Vielleicht würde sie sich im Laufe der Jahre doch in ihn verlieben. Oder aber er würde im Krieg sterben. Ihr aller Schicksal war ungewiss. Für Johannes brauchte sie zu lange Zeit, um ihm zu antworten. „Was ist los mit dir? Stimmt etwas nicht?“
„Nein. Es ist nur … Wie soll ich sagen … Du verlangst da zu viel von mir. Wir sind doch noch Kinder. Bis zu unserer Hochzeit werden noch viele Jahre vergehen. Du wirst noch viele andere Frauen kennenlernen.“
„ Nein. Ich werde hier in Badibe bleiben und nur dir gehört mein Herz.
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