Liebe und Völkermord
Syrien! Geh immer weiter nach Süden, bis du Menschen antriffst, denen du vertrauen kannst und bleibe dort. Komm nie wieder zurück!“
Barsaumo nahm die rechte Hand des Pfarrers und küsste sie. Er bedankte sich beim Abuna für seine Hilfe. Dem Priester war dieser Schritt schon schwer gefallen. Er wusste um die vielen Sünden des Barsaumo und er wusste, warum er Tuma getötet hatte. Doch sein Blut wollte der Abuna nicht an seinen Händen haben. Bei seiner Priesterweihe hatte er geschworen, über alle seine Schafe zu wachen und sich um sie zu kümmern. Er tat nur seine Pflicht.
Barsaumo hingegen blickte nun in eine ungewisse Zukunft. Er war nicht für das Mönchsleben geschaffen, aber eigentlich wollte er nie sein Land verlassen, auch wenn er sich schon oft wünschte, in die Welt hinauszugehen und ferne Länder zu bereisen. Sein altes Leben hatte er satt. Sein Charakter hatte sich gewandelt. Doch dieser Charakterwandel war durch eine tragische Wendung des Schicksals herbeigeführt worden. Und nun sollte eine weitere tragische Wendung des Schicksals seinen Charakter wieder verändern. Nicht zum Positiven, denn für das Kloster konnte er sich nicht entscheiden. Sondern zum Negativen, denn da draußen, in den Ländern des Südens, erwartete ihn nichts Gutes. Und er würde sich den Umständen anpassen müssen. So schritt er, der Verdammte, weiter an der Seite des Abuna den Hang hinauf zum Kloster.
Maria Kafrejto
In den Wirren des Ansturms der türkischen Soldaten auf das Dorf hatte niemand den die verwirrte Maria mit sich führenden Ali bemerkt. Seine Mutter Fatima war im Haus geblieben. Sie nahm sich dem aramäischen Mädchen an. Sein Vater Mahmud eilte herbei kurz nach ihrem Eintritt. Er war unterwegs mit seiner Herde gewesen, hatte aber die Heide im Süden noch nicht erreicht, als er diesen ohrenbetäubenden Lärm hörte.
Er knallte die Haustür zu und lugte durch den kleinen Schlitz zwischen den aus ihnen angefertigten Holzbrettern der Tür. Als er sich zu Ali umdrehte und Maria erblickte, schaute er erst schockiert. Dann lächelte er sie an. Er war so stolz auf seinen Sohn. Sein Sohn war zuverlässig, was die Arbeit betraf, und er hatte ihn gelehrt, stets ein Mann von Ehre zu sein, und nun hatte er ihm mit dieser ehrenhaften Tat der Rettung des Lebens dieses Mädchens seinen guten Charakter bewiesen.
Ein Türke klopfte an ihre Tür, Mahmud öffnete sie und sprach mit dem Soldaten. Er zog weiter, ohne das Haus zu betreten.
Die vier Personen im Haus blieben die ganze Zeit über im Wohnzimmer, gleich neben dem Korridor vor der Haustür, stehen. Dieser Raum maß zwar nur drei Meter in der Länge, doch hatten sie alle genug Platz, um sich frei zu bewegen.
Sie waren angespannt, schauten bisweilen nach links und rechts und rührten sich nicht von der Stelle. Fatima nahm Maria in ihre Arme. Maria lehnte sich an ihre Brust, Fatima strich ihre Haare mit ihrer linken Hand. Ali schwitzte stark, der Schweiß tropfte von seiner Stirn herab. Mahmud schaute nachdenklich aus. Nun begriff er, sein Sohn hegte wohl Gefühle für dieses hübsche aramäische Mädchen. Er fragte sich, was sein Sohn sich durch diese Tat erhoffte. Würden die Aramäer nicht zurückkommen und sie holen? Sie war eine Christin und er würde sie nicht heiraten können. Es sei denn, er gedachte, sie zur Muslimin zu machen.
Als sie nach zwei Stunden keine Schreie mehr vernahmen, atmeten sie alle tief ein und wieder aus, sie wiegten sich in Sicherheit. Nun setzten sie sich auf den Boden, auf die weichen Liegematten. Sie sprachen leise zueinander, sie befürchteten, es könnten sich immer noch Soldaten im Dorf aufhalten und sie hören.
„Ich habe unsere ganze Herde draußen gelassen. Die Schafe sind bestimmt in alle Richtungen gescheut. Es wird gleich dunkel. Wir müssen gleich los, um sie zu suchen“, sprach Mahmud.
Sie warteten noch eine halbe Stunde. Dann forderte der Vater den Sohn auf, mit ihm zu gehen. Sie verließen das Haus und eilten über den Gehweg in den Süden. Dort bestiegen sie den Hügel. Sie schauten auf ihrem Weg kein einziges Mal nach unten. Und als sie den Gipfel des Hügels erreichten, drehten sie sich nicht zum Dorf um. Mahmud schüttelte den Kopf. „Ich hätte nicht gedacht, dass es soweit kommen würde. Furchtbar, was sie tun! Ich kann es nicht glauben.“
„Ich wage es nicht, auf das Dorf hinab zu schauen. Sie haben sie alle massakriert. Was sind das nur für Menschen, die so etwas tun, Vater?“
„ Die
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