Liebe und Völkermord
Habgier macht aus Menschen Bestien, mein Sohn.“
Sie schritten vorsichtig den Hang hinab und erblickten einige entlaufene Schafe auf ihrem Weg, an den Bäumen standen sie, wohl aus Furcht waren sie dorthin gerannt. Sie trieben sie zusammen und Ali zählte sie. Exakt 28. Sie hatten keins verloren. Danach trieben sie die Herde westwärts, zum tiefsten Punkt des Hügels, um alle Schafe leichter über den Hügel vor das Dorf zu schaffen.
Ali fasste die Schafe mit seinen Händen an, als er sie zusammenführte. Wenn eins ausriss, führte er es mit den Händen auf den richtigen Weg. Mahmud benutzte eigentlich immer seinen Hirtenstab, doch heute ließ er ab von seinem Gebrauch. Er beobachtete seinen Sohn mit deprimiertem Gesichtsausdruck. „Bist du in sie verliebt?“
„ Was?“, fragte Ali, und wandte seinen Kopf seinem Vater zu. Er schüttelte den Kopf. Mahmud seufzte. „Du hast richtig gehandelt.“
Ali schaute verwundert zu seinem Vater auf. Er hatte gedacht, sein Vater würde ihn tadeln und ermahnen.
„Doch werden wir sie nicht lange verstecken können. Ihre Familie ist höchstwahrscheinlich tot oder sie ist geflohen. Du musst an die Zukunft denken. Was soll aus ihr werden? Die einzige Lösung ist nur die, dass sie Muslimin wird.“
Ali wandte sich ab und schüttelte den Kopf. „Nein! Das will ich nicht. Dann wäre ich doch nicht viel anders als diese Schlächter!“
„Ich verstehe deine Bedenken, aber wir leben in unruhigen Zeiten. Und ohnehin, wenn du sie heiraten wolltest, hätte sie zum Islam übertreten müssen.“
„ Ich wollte sie nicht heiraten.“
„ Warum hast du ihr dann das Leben gerettet?“
„ Weil ich sie mag! Sie ist ein gutes Mädchen. Sie ist unschuldig. Das sind alle Aramäer unseres Dorfes.“
„ Mir kannst du nichts vormachen, mein Sohn! Du bist in sie verliebt.“
An der Spitze der Herde sprang ein Schaf zu weit vor, Ali rannte hinter ihm her und fing es mit seinen Armen auf. Er trug es auf seinen Armen zu den anderen zurück, und setzte es hinten, am Ende der Reihe, hin. Mahmud verstand, sein Sohn wollte Zeit schinden und vom Thema ablenken.
Als sie den Hang herunterstiegen, standen sie an den Seiten der Herde, der Sohn rechts, der Vater links, mit dem Rücken zum Dorf gewandt. Sie mieden den Blick auf das Dorf. Die Sonne ging unter. Sie hatten nun nicht mehr viel Zeit, um ihre Herde zur Stall ähnlichen Abgrenzungsfläche vor dem Dorf zu führen.
„ Wo soll sie denn hingehen? Sei doch vernünftig, Junge! Du bist doch nicht mehr ein Kind! Du musst endlich eine Familie gründen.“
Der Sohn schaute verzweifelt. Sein Vater hatte recht, das sah er ein. Aber er konnte dieses Opfer von Maria nicht verlangen. Er wollte sie nicht verletzen. Die Religionszugehörigkeit war ihm gleichgültig. Das hatte er auch immer wieder in Marias Beisein betont. Nun sollte er also sich dem Willen der muslimischen Gemeinde und dem seiner Eltern beugen und sie dazu drängen, zum Islam zu konvertieren?
Die Lage war wirklich heikel und ausweglos.
Im Haus sprach derweil Fatima mit Maria. Die junge Aramäerin schämte sich vor der fremden Kurdin. Sie hatte Angst, was, wenn die Mutter Verdacht schöpfen und hinter ihre Affäre mit Ali kommen würde.
Fatima lächelte sie die ganze Zeit über an. Sie dachte erst einmal nur daran, das Mädchen irgendwie zu beruhigen. Zahlreiche Morde waren an diesem Tag an ihrem Volk durch das ihre begangen worden.
Maria hatte ein Engelsgesicht. Sie war genau jene Frau, welche sich Fatima als Braut für ihren Sohn gewünscht hatte. Sie übertraf sogar ihre Vorstellungen. „Du kannst hier bleiben, solange du willst. Wir werden dich beschützen. Hier bist du sicher.“
Maria war noch so jung. Sie war müde und konnte nicht mehr klar denken. Sie schaute Fatima an und überlegte, ob sie ihr vertrauen konnte. Ihr blieb keine andere Wahl. Ihr Instinkt sagte ihr, sie könne ihr vertrauen. Doch was hatte sie im Haus und an der Seite von Ali zu suchen? Diesen Jungen wollte sie doch nie wieder sehen. Diesen Moslem wollte sie nie wieder sehen. Sie dachte nun an die Flucht. Doch dann dachte sie an die Rettung ihres Lebens durch ihn. Ein so schlechter Mensch, für den sie ihn gehalten hatte, konnte er also doch nicht sein. So verbannte sie jeden Gedanken an Flucht aus ihrem Gehirn. Ali müsste sie lieben, dachte sie, obgleich sie ihn nicht mehr liebte. Auch nicht jetzt nach seiner glorreichen Tat.
Fatima schaute in die Zukunft. Sie hatte im Sinn, dieses bezaubernde Mädchen
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