Liebe und Völkermord
von Sünde reingewaschen.
Nurdschan trottete in die Küche, das konnte er deutlich hören. Sie hatte ihm nicht einmal einen guten Morgen gewünscht und ihn nicht gefragt, ob sie ihm den Tee machen solle. Das war merkwürdig. Er dachte, sie hätte ihn verurteilt und würde ihn nun wegen den schrecklichen Ereignissen und dem Raub der Ikonen aus der Kirche verachten. Wenn dem tatsächlich so war, wollte er sie eines Besseren belehren. Viele Männer in dieser Region schlugen ihre Frauen. Das hatte er bisher aber nur ein einziges Mal getan und das war bereits 20 Jahre her gewesen. Er hatte ihr damals aufgetragen, ihn vor Sonnenaufgang zu wecken. An dem Abend hatte er sich in den Koran vertieft und bis in die Nacht hinein die Verse der Suren 33 und 56 rezitiert und auswendig gelernt. Doch sie hatte verschlafen und er schalt sie dafür. Nun fragte er sich, ob er dazu fähig wäre, wieder handgreiflich gegen Nurdschan zu werden. Es ging nun um seinen Ruf und womöglich auch um sein Leben. Sein Leben war ihm am wichtigsten.
Gerade hatte er sich aufgerichtet und wollte sie zu sich rufen, da klopfte es an der Tür. Mahmud, Alis Vater, bat um Eintritt. Er kam zu einem für den Imam ungünstigen Zeitpunkt. Er ließ ihn herein und bat ihn, im Wohnzimmer Platz zu nehmen. Eilig betrat er darauf die Küche und packte Nurdschans linken Arm. Sie schaute ihn mit starren Augen an. Mit diesem Blick hatte sie ihn noch nie angeguckt. Er war eine Mischung aus Furcht und Verachtung.
Er sprach kein Wort, zeigte mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf die Teekanne, und sie nickte nur.
Als er das Wohnzimmer betrat, erkannte er sogleich die Verzweiflung in Mahmuds Körperhaltung. Mahmud saß nach vorne gekrümmt, sein Kopf nach unten gesenkt und seine Augen geschlossen. Heute fehlten dem Imam die Worte. Schweigend und geräuschlos setzte er sich gegenüber von seinem Gast hin. Er zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. „Mahmud, freut mich, dass Ihr mich wieder besuchen kommt. Was kann ich für Euch tun?“
Mahmud rührte sich immer noch nicht. Sein Gesicht war blass und er roch nach Schweiß. Der Imam hingegen hatte kurz zuvor seinen eigenen Schweißgestank mit einem Parfüm aus Paris, welches er einmal vom Ali Pascha bei seinem Besuch vor zehn Jahren in seiner Villa geschenkt bekommen hatte, übertüncht. Direkt nachdem er aus der Küche gekommen war, war er in sein Schlafgemach geeilt.
„ Wisst, Hochwürden, was gestern geschehen ist, habe ich nicht gewollt. Ich habe die Schreie der Menschen gehört, ich habe die Toten auf dem Weg gesehen. Das wird mir nie wieder aus dem Kopf gehen.“
„ Ja, ich bedaure auch, was gestern geschehen ist. Die Christen trifft das Schicksal. Allah möge ihnen beistehen. Wir selbst können ihnen nicht helfen. Gegen die Türken sind wir zu schwach“, erwiderte ihm der Imam und wandte danach seinen Blick zum Eingang dieses Raumes, denn Nurdschan war immer noch nicht mit dem Tee gekommen.
„ Ich bin gekommen, um Euch um Euren Rat zu bitten, Hochwürden. Wir konnten ein christliches Mädchen retten. Wir haben sie in unserem Haus versteckt. Sie ist unversehrt.“
Überrascht gaffte der Mufti ihn an. Er nickte leicht mit dem Kopf. „Da habt Ihr eine große Tat vollbracht. Allah wird es Euch vergelten. Wessen Tochter ist sie?“
„Wir haben ihn gesucht, aber konnten ihn nicht finden. Sie ist Isas Tochter. Isa der Schafhirte, der uns viele Probleme gemacht hat.“
Der Imam runzelte die Stirn. „Dann ist Eure Tat noch viel größer. Ihr habt die Tochter Eures Gegners gerettet. Das wird Euch Allah tausendfach vergelten.“
Mahmud saß immer noch mit nach vorne gekrümmtem Rücken. Seine Augen waren geöffnet, er schaute aber den Imam nicht an. Er wirkte verwirrt, er suchte nach den richtigen Worten. „Was sollen wir jetzt mit ihr machen? Sie hat keine Verwandten mehr. Und alle Aramäer unseres Dorfes sind entweder tot oder geflohen.“
Nurdschan trat ein, mit der Kanne in ihren Händen. Sie lächelte Mahmud an. Sie hatte seine Worte gehört und mochte ihn nun wegen dieser ehrenhaften Tat. Vorher hatte sie Mahmud kaum Aufmerksamkeit geschenkt und nie wirklich respektiert. Für sie war er nur einer von jenen vielen Muslimen, welche mit ihren Bitten ihren Mann ausnutzen wollten. Womit sie freilich recht hatte.
„Mir fällt da gerade eine gute Idee ein. Ihr habt doch einen Sohn. Ali. Macht sie zur Muslimin und gebt sie ihm zur Frau.“
Mahmud blieb immer noch in seiner Haltung verharrt. Den Becher
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