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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Imran
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Haus schleichenden Ali nicht bemerkt. Das Quietschen der Haustür nahm sie nicht wahr, so sehr war sie in ihren Gedanken verstrickt.
    Ali schaute in den Norden des Dorfes. Von hier aus konnte er einige tote Menschen auf dem Gehweg sehen. Entsetzt presste er seine Augen zusammen. Als er sie wieder öffnete, schaute er zur Seite und schritt langsam voran. Dann sah er das Haus des Isa. Er sprang vom Gehweg herab und ging darauf zu. Die Tür stand offen. Kein Mensch war zu sehen. Er fand nur ein verwüstetes Anwesen vor. Auch wenn Blut ihn abschreckte, so überwand er sich, den vermeintlich toten Isa zu suchen. So begab er sich hinter das Haus, schaute auf den erdigen Seitenweg am Rande der Siedlung, links und rechts, und geradeaus zum Hügel. Er sah zwei tote Menschen links von ihm, sie waren nicht weit entfernt von ihm. Nach seiner Einschätzung hätten es eine Frau und ein junger Mann sein müssen, doch er musste sich vergewissern, ob es nicht doch ein älterer Mann war. Als er am Tatort ankam, schaute er die Leichen nur kurz an. Es waren tatsächlich eine Frau mittleren Alters und ein junger Mann. Ihre Gesichter waren nicht gut zu erkennen, sie waren vom Blut bedeckt. Ihre Köpfe waren halb durchgetrennt. Entweder waren die Säbel der muslimischen Söldner nicht scharf genug gewesen, um ihre Köpfe zu durchtrennen, oder sie schnitten sie absichtlich nicht ganz vom Hals ab. An den Wunden am Hals der Toten saugten Schwärme von Fliegen.
    Er roch einen süßlichen Gestank und hielt sogleich seinen linken Unterarm an seine Nase.
    Schockiert für den Rest seines Lebens wandte er sich zum Gehweg des Dorfes um. Hier stand er unweit vom nördlichsten Punkt des Dorfes. Geradeaus vor ihm sah er jene drei Toten, welche er von seinem Haus aus erblickt hatte. Sie waren auch von hier aus nicht gut zu erkennen. Er rannte zu ihnen hin, betrachtete jeden von ihnen kurz und drehte sich um und wandte seinen Blick nach Süden. Es waren eine Frau und zwei junge Männer. Einer von ihnen war sogar noch ein Kind. Fassungslos seufzte er und schüttelte den Kopf. Langsam schritt er vorwärts auf dem Gehweg an den Häusern der Aramäer vorbei. Er schaute abwechselnd nach links und rechts. An einer Tür sah er Blut. Dort im Haus hatten die Türken einen Menschen getötet. Dann kam er an der Kirche vorbei. Er schaute über die Abgrenzung des Innenhofes aus Lehmziegeln. Als er die Leiche des Abuna erblickte und den abgetrennten Kopf daneben, trat er zur Seite und übergab sich.
    Nun war es hell geworden. Doch immer noch schlief das Dorf. Er vernahm kein Geräusch. Er vermutete, viele von den Aramäern könnten es geschafft haben, über den Hügel zu fliehen und ihren Häschern zu entkommen. Oder sie wären hinter dem Hügel von den Türken aufgefangen und erschlagen worden. Bevor er am gestrigen Tag mit Maria zu seinem Haus gerannt war und seine Haustür erreicht hatte, hatte er noch einmal nach den flüchtenden Aramäern Ausschau gehalten. Er hatte gesehen, wie sie den östlichen Hügel hinauf liefen. Sein scharfer Blick war nun auf diesen Hügel gerichtet. Von hier aus sah er keine Leichen diesseits des Hügels. Doch was war auf der anderen Seite des Hügels? Er fürchtete sich vor diesem Berg. Allein die fünf Leichen hatten ihn schon so schockiert. Sein Gesicht war blass geworden. Noch nie hatte er sich physisch so schlecht gefühlt. Die Vorstellung, hinter dem Hügel befänden sich dutzende Leichen erschauderte ihn. Er schloss seine Augen und versuchte, diese Bilder aus seinem Gehirn zu verbannen, doch sie waren nicht zu verbannen. Sie saßen nun fest in seinem Kopf.
    Er wollte nur noch nach Hause und sich dort verstecken. Diese Welt war so grausam. Nicht einmal in seinen schlimmsten Alpträumen war sie jemals so grausam gewesen. Er wollte nur noch allein sein. So rannte er auf dem Gehweg nach Hause. Als er die Höhe seines Hauses erreicht hatte, blieb er stehen und sah Meridschan. Sie stand drei Häuser von ihm entfernt. Sie starrte ihn mit Schlitzaugen an. Er verstand ihre Haltung nicht. Nach all dem Übel, was sie am gestrigen Tag gesehen hatten, war sie wütend auf ihn. Weswegen, das konnte er sich nicht erklären. Und er wollte es nicht. Er war zu verwirrt wegen den schrecklichen Bildern in seinem Kopf. Angesichts dessen war ihm Meridschans Anliegen gleichgültig. So eilte er weiter zu der Haustür und verschwand hinter ihr. Meridschan stand immer noch an jener Stelle auf dem Gehweg und schaute Ali hinterher. Sie presste ihre Lippen

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