Liebe und Völkermord
heben, um danach wieder nach Hause zu gehen. Also trat er wieder zurück an die Wand des Hauses. Er zählte langsam von Zehn bis Eins herunter. Dann lugte er wieder aus seinem Versteck heraus auf den Brunnen. Der Mann stand immer noch dort, er wollte gehen, offenbar hielt Meridschan ihn zurück. Sie hielt seine rechte Hand gegen seinen Willen. Offensichtlich stritten sie sich.
„Wen beobachtest du dort?“
Die Worte des Unbekannten schlugen wie ein Blitz in sein Herz ein. Erstarrt blieb er in dieser Position stehen und wagte es nicht, sich zum Fremden umzudrehen. Der Fremde lachte plötzlich. „Dreh dich um, ich tue dir nichts! Ich bin ein Mann Gottes.“
Ängstlich drehte sich Matthias langsam und erblickte Musa. Der Imam lächelte die ganze Zeit, er freute sich sichtlich, den kleinen Mann zu sehen. „Ich habe dich noch nie hier gesehen.“
Matthias schwieg. Jedes Wort hätte ihn noch weiter in Schwierigkeiten bringen können. Sein Kopf rührte sich nicht. Seine Augen wurden immer größer. Der muslimische Geistliche lächelte immer noch. „Du bist ein Aramäer, habe ich recht? Höchst eigenartig.“
Der Kleinwüchsige überlegte, sollte er denn nicht sofort wegrennen, doch konnte er nicht zu Meridschans Haus rennen, denn der Mann würde ihn dabei beobachten. Sein Herz schlug höher und er schwitzte aus allen Poren. Musa jedoch lächelte weiter, seine Hände waren leer, er hatte sie ineinander gefaltet. „Hab keine Angst, ich tu dir nichts. Du bist sicher. Ich habe nichts gegen die Aramäer.“
Matthias war sich sicher, dies war eine Falle, der Alte wollte ihn zu sich locken. Gerade wollte er ausholen, um in Richtung Hügel zu rennen, da trat der Imam zur Seite, sah das Paar am Brunnen und sprach: „Ach so, du hast ein Auge auf Meridschan geworfen. Und du fragst dich jetzt bestimmt, wer dieser junge Mann neben ihr ist.“
Matthias hielt inne. Er hätte genickt, oder gesprochen, doch er traute sich immer noch nicht.
„ Das ist Ali. Sie waren einmal einander versprochen. Doch nun wollen ihn seine Eltern mit einer anderen Frau vermählen. Ich glaube, deswegen sieht Meridschan so sauer aus.“
Er kicherte. Immer noch schaute er Matthias grinsend an. Er wirkte wie ein geistig Verwirrter auf ihn. Der alte Mann lachte wohl über seine geringe Körpergröße. Oder er hätte ein besonderes Interesse an ihm. Was auch immer der Grund gewesen sein mochte, der Alte mit dem Bart ging ihm auf die Nerven.
Der Alte gaffte ihn immer noch grinsend an. „Keine Angst, ich erzähle niemand von dir.“
Wieder kicherte er, dann schritt er voran in Richtung des Gehweges. Als er auf dem Gehweg angekommen war, drehte er sich zu Matthias um und grinste wieder. Matthias lehnte sich wieder zurück an die Wand. Er atmete tief durch. Was, wenn der Imam den anderen Muslimen von seiner Präsenz im Dorf erzählen würde. Er war nicht mehr sicher. Und dann war da noch das, was er über Meridschan erzählt hatte. Wenn das stimmen sollte, hatte sie ihn angelogen. Sie hätte wohl die ganze Zeit über eine Affäre mit diesem Kerl. Sie sei wohl in ihn verliebt. Er war deprimiert.
Was sollte er nun tun? Eigentlich hatte er sich wieder zurück zu Meridschans Haus schleichen wollen, doch nach dem, was eben geschehen war, und was er eben erfahren hatte, überlegte er, ob er nicht lieber verschwinden sollte. In die hübsche Meridschan hatte er all sein Vertrauen gesetzt. Er hatte ihr all seine Liebe geschenkt. Und nun, wo er ihr zweites Gesicht erkannte, zerbrach seine Welt für ihn. Würde er ihr denn je wieder vertrauen können? Liebte sie ihn denn überhaupt? Würde sie sich überhaupt jemals in ihn verlieben? Und, warum trauerte sie diesem Kerl nach? Dann leuchtete es ihm ein und es verletzte ihn sehr. Sie war oberflächlich. Sie rannte hinter diesem Kerl her, weil er hochgewachsen war. Dann war sie also doch keine besondere Frau, keine ungewöhnliche Frau, welche eine andere Weltanschauung hatte als die anderen und nicht oberflächlich wie die anderen Frauen war. Er ärgerte sich so sehr und er war so wütend, er hätte am liebsten den Schmerz laut aus seiner Kehle herausgeschrien, was er natürlich nicht tat, denn seinen Verstand hatte er nicht verloren.
Ja, das einzig Vernünftige war, sofort zurück in Richtung Badibe zu laufen. Die türkische Armee war inzwischen sicherlich weiter in den Osten gezogen und er würde unbehelligt nach Süden wandern und nach nur wenigen Stunden sein Heimatdorf erreichen. Aber dann dachte er wieder an
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