Liebe und Völkermord
dachte nach und kam zum Entschluss, die Europäer seien wohl doch von ihrer Natur her zur Gewalt neigend. Es war schon grotesk. In Dörfern und Städten Italiens brachten sich die Menschen wegen Lappalien um. Hier aber blieben die Menschen selbst bei einem Mordfall ruhig. Jetzt realisierte der Nuntius, er war in der Gesellschaft von echten Christen.
Pater Juhanun schlug vor, den jungen Mann zum Priester zu weihen und ihn in ihrer Obhut zu lassen, doch Abuna Isa lehnte den Vorschlag ab und meinte, es sei besser, ihn nach Syrien zu schicken. Barsaumo sei nicht für das Priesterleben, geschweige denn für das Mönchsleben, geschaffen. Die Mönche verstanden, was der Abuna damit meinte und erklärten sich mit dieser Entscheidung einverstanden.
Als der Abuna fort war, gesellten sich die Mönche zu Barsaumo. Barsaumo fühlte sich unwohl unter ihnen. Abuna Isa hatte sich nicht geirrt. Er kannte ihn besser als seine eigenen Eltern. Niemals hätte er sich an das Leben dieser Mönche gewöhnen können. Der Abuna war gnädig zu ihm. Es hätte auch alles anders kommen können. Dem Abuna hatte er sein Leben zu verdanken. Und mehr noch, der Abuna hatte sein Leben zweimal gerettet. Hätte er ihn dazu verdammt, den Rest seines Lebens im Kloster zu verweilen, wäre dies für ihn dem Tode gleich gewesen. Der Dorfpfarrer würde ihn decken. In dieser Nacht würden sie nicht ins Kloster kommen. Und in den nächsten Tagen, wenn irgendwann ein Dorfbewohner das Kloster besuchen und seinen Fortgang im Dorf kundtun würde, würde Abuna Isa ihn wieder in Schutz nehmen.
Nun dachte er aber über seine Zukunft nach. Doch erst galt es, die Nacht zu überstehen. Er musste später das Kloster und heimlich das Dorf in Richtung syrisches Tal verlassen. Auf dem Hügel standen immer noch die Drei-Männer-Wachen. Es würde sehr schwer werden für ihn, doch hatte er keine andere Wahl.
Um 23 Uhr machte er sich bereit für seine Reise. Die Mönche gaben ihm reichlich Proviant mit. Den großen Beutel trug er auf seinem Rücken, er wog zehn Kilogramm. Auch wenn er nicht an harter Arbeit gewohnt war, hatte er doch starke Arme und er sollte die Strapazen der Reise unbeschadet überstehen.
Pater Juhanun gab ihm mehrere Streichhölzer mit und überreichte ihm die Fackel. Als er den Hang des Hügels des Klosters hinab schlich, konnte er die Fackel noch benutzen. Ohne das Licht des Feuers wäre er zweifellos nicht unverletzt unten angekommen. Als er dann unten auf dem Gehweg stand, warf er die Fackel weg. Es war stockdunkel, er konnte nahezu nichts mehr sehen. Nun musste er den östlichen Hügel überqueren, er schritt auf dem Weg entlang. Hier war er noch sicher. Der Boden war eben. Dann gelangte er an eine steile Stelle. Mit seinen Händen tastete er wie ein Blinder allein auf dem Landweg den Weg vor sich ab und stieg vorsichtig den Hang hinauf. Auf diesen Weg war er in seinem ganzen Leben nur einmal gewandelt, und das war, als er gerade einmal sechs Jahre alt geworden war. Sein damals vitaler Vater hatte ihn mit nach Syrien genommen. Dort hatte er zum ersten Mal die großen Städte gesehen, die vielen Händler aus aller Länder, und auch die Sklavenhändler, die Sklavinnen und die Prostituierten.
Jedoch, dorthin wollte er nicht wieder hin.
Nun stand er auf dem Gipfel, hier war die gefährlichste Stelle des Hügels. Vor sich sah er nichts. In dieser Finsternis war ohne Licht überhaupt nichts zu sehen. Er setzte vorsichtig seinen rechten Fuß wenige Zentimeter nach vorne. An dieser Stelle ging es wieder steil abwärts. Vorsichtig schritt er weiter vorwärts. Dann rutschte er ab und fiel quer über Kopf den Hang hinab. Als er unten ankam und liegen blieb, schmerzten alle Glieder seines Körpers. Er versuchte, sich aufzurichten, doch sein Rücken knackte und schmerzte so furchtbar, und er fiel wieder zurück auf den Boden.
Er blieb dort liegen und ruhte sich aus. In vier Stunden würde die Sonne wieder aufgehen. Dann würde er bei Sonnenlicht weiterziehen können. Er hätte abwarten können, bis Schichtwechsel bei der Wache oben war und dann losrennen können. Doch er merkte schnell, das war ein schlechter Plan. Er würde nicht so weit ins Tal vordringen, bis sie ihn oben auf dem Hügel erkannt hätten. Er musste also sofort weiterziehen. Den Sack mit dem Proviant trug er mit seiner rechten Hand und schritt langsam weiter vorwärts. Er hinkte vorwärts. Sein Rücken tat weh. Er dachte, er würde es nicht überleben. Gedanken der Aufgabe hatte er. Aber er
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