Liebe und Völkermord
Nacht hatte stark an seinen Kräften gezehrt. Einem solch unhöflichen einheimischen Herrscher war er bis dahin nicht begegnet. Er war enttäuscht. Nun hinterfragte er den Sinn dieses Unternehmens und seiner eigenen Rolle darin. Warum sollte er diese primitiven Muslime militärisch beraten und sich sogar an ihren Verbrechen beteiligen, fragte er sich.
Sein Adjutant war indes mit anderen Gedanken beschäftigt. Den Gräueltaten der Muslime hatte er beigewohnt, hatte sich jedoch weder eingemischt, noch sich an ihnen beteiligt. Dennoch fühlte er sich als Mittäter. Und dies deprimierte ihn. Sein ganzes Leben hatte er noch vor sich und er würde so viele Jahre mit dieser Schuld leben müssen. Für Ruhm und Ehre war er damals der preußischen Armee beigetreten, nun, wo er die Niedertracht der Armee und die Verlogenheit der Politiker erkannt hatte, bereute er, damals nicht in die Lehre zum Zimmermann bei seinem Onkel Harald aus Magdeburg gegangen zu sein.
Sein Vorgesetzter interessierte ihn nicht mehr. Er respektierte ihn nicht mehr. Stets hatte er sich fleißig um die Erfüllung seiner Befehle gekümmert und den Generalmajor mit seinen eigenen Überlegungen und Ideen bei seinen Unternehmungen unterstützt. Jetzt jedoch wollte er nur noch seine Pflicht als Adjutant dieses alten Scheusals erfüllen und hoffte auf eine baldige Abkommandierung von diesem Ort und seine Rückkehr in seine Heimat. Dies war aber sehr unwahrscheinlich und würde ganz sicher vom Einfluss des Generalmajors abhängen. Also musste er selbst zur Tat schreiten. Wenn er verletzt würde, würde er nicht mehr von Nutzen sein für den Generalmajor und in seine Heimat zurückgeschickt werden.
„Weißt du etwas über diesen Agha Muhammad Ali?“, fragte Heinz ihn.
Johann wandte sein Gesicht seinem Offizier zu, schlagartig aus seiner Gedankenwelt herausgerissen. Der Generalmajor konnte in den Augen des Jungen lesen, er war mit seinen Gedanken irgendwo anders gewesen und hatte ihn nicht gehört. Also wiederholte er seine Frage. Johann zuckte mit den Achseln und zog die Lippen seines Mundes an den Seiten herunter. „Man weiß nicht viel über ihn. Alles, was ich in Erfahrung bringen konnte, war, er war vor nur wenigen Wochen der Stellvertreter des früheren Aghas und jener verstarb urplötzlich. Er ist noch jung und gilt als politisch unerfahren.“
„Den Eindruck hatte ich aber nicht. Er sprach von seinem Volk und von den hiesigen christlichen Völkern und behauptete, sie würden einzig und allein nur für ihre Ehre und für ihre Überzeugung in den Krieg ziehen. Damit wollte er sagen, wir würden das nicht tun. Er hat uns Deutsche beleidigt. Dass ich nicht lache! Ihr Haufen von Bauern und Söldnern plündert die Dörfer und nimmt sich alles, was er in die Hände kriegt. Und er behauptet, sie würden für ihre Überzeugung töten.“
Der junge Deutsche war überrascht. In den Augen des Generalmajors sah er einen Funken. Jener Funke war ein böses Omen. Es hatte den Eindruck, Heinz würde einen Kampf gegen den Agha vorbereiten. Heinz hatte recht seiner Meinung nach, die muslimischen Soldaten waren in der Tat Barbaren gewesen, welche nur auf gute Beute aus waren. Doch der Agha mit seiner Behauptung, die Deutschen würden nur zur persönlichen Bereicherung kämpfen, lag ebenso richtig. Dann dachte er an die Opfer. „Die einheimischen Christen kämpfen aus Überzeugung.“
Heinz schaute ihn entsetzt an. Er war rechthaberisch und wollte keinen Adjutanten an seiner Seite haben, welcher ihn in seinen Ideen-Neuschöpfungen verbesserte oder ihm sogar widersprach. „Was redest du da, Junge? Sie sind zum Tode verurteilt. Sie wehren sich nur. Das tut auch jedes Tier.“
„ Wir sollten ihre Kultur respektieren. Sie waren lange vor uns zum Christentum konvertiert. Und sie sind die Nachfahren einer der ersten Zivilisationen der Welt. Ihr habt recht, die Kurden sind Barbaren, die sich nur an dem Reichtum der Aramäer bereichern wollen. Und wir unterstützen sie dabei.“
„ Zügle deine Zunge, Junge! Vergiss nicht, wer du bist! An erster Stelle steht die eigene Nation und das Vaterland!“
„ Ihre Nation ist sehr alt. Sie sind Aramäer und die Ureinwohner dieser Region, die wir Mesopotamien, Syrien, Libanon und Anatolien nennen. Dieses Gebiet hieß früher ,Aram'. Die Griechen haben nach der Vernichtung des persischen Reiches durch sie dieses Gebiet unter sich aufgeteilt und den verschiedenen Ländern und Völkern jene Namen gegeben, unter denen wir sie
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