Liebe und Völkermord
besann sich dann wieder eines Besseren. Nach Badibe konnte er nicht zurück. Nun hieß es, entweder würde er es bis zum Exil schaffen, oder er würde auf dem Weg dorthin sterben. Auch wenn er eigentlich nicht an Gott glaubte, so betete er nun. Er betete zu Jesus Christus und der Mutter Gottes und allen Heiligen, er möge unversehrt das Tal überqueren und unversehrt im nächsten Dorf ankommen.
Nun musste er nach links schreiten, die untere Seite des Osthügels entlang. Schritt für Schritt, Meter für Meter, näherte er sich der unteren Stelle der Anhöhe, wo die Aramäer-Wache oben auf dem Hügel stand. Ängstlich schlich er sich weiter voran. Keinen Lauten durfte er machen. Das kleinste Bisschen hätte die Aramäer geweckt und sie hätten sofort auf ihn geschossen. So stockdunkel es auch war, er konnte dennoch das syrische Tal vor sich sehen. Dort in der Ferne waren große dunkle Flecken zu sehen, das war das nächste Dorf. Das sah zwar nicht weit aus, doch war es eine Strecke von mindestens zehn Kilometern. Diese zehn Kilometer musste er also in nur vier Stunden zurücklegen. Nur im Schutz der Dunkelheit hatte er die Gelegenheit. Im Morgengrauen würden sie ihn sogar in acht Kilometer Entfernung entdecken und mühelos totschießen.
Jetzt konnte er von dort unten aus das Lachen der drei Männer hören. Wer genau sie waren, konnte er nicht erfahren. Dies war die Gelegenheit. Er presste seine Augen zu, machte ein Kreuzzeichen und rannte los. Trotz der Schmerzen und des schweren Sackes unterdrückte er jegliches Schnaufen und Stöhnen. Seine Tritte auf den Boden wühlten den Sand auf. Da es kein erdiger Boden war, war nichts zu hören. Oben auf dem Gipfel des Hügels amüsierten sich die Männer weiter. Er drehte sich nicht um und lief weiter auf der Ebene in Richtung des syrischen Dorfes. Das Bild vor ihm bewegte sich nicht. Er näherte sich dem, doch kam er um kein Stückchen den großen dunklen Flecken näher. Tränen traten aus seinen Augen hervor.
Als er sich in ausreichender Reichweite vom Hügel wähnte, atmete er tief aus. Er stöhnte. Was habe er sich da nur angetan, fragte er. Wäre er doch in Badibe geblieben. Er hatte doch den Tod verdient. Er hatte zwei Menschen getötet. Immer wieder traten solche Zweifel bei ihm auf.
Am frühen Abend hatte Abuna Isa seine Eltern, Aziz und Samona, in ihrem Haus besucht und ihnen von dem Vorfall auf dem Gipfel berichtet. Der Pfarrer ließ das alte Ehepaar darauf allein. Aziz zeigte sich zutiefst enttäuscht und verfluchte Barsaumo. Samona verfluchte sogar den Tag, an dem sie ihn zur Welt gebracht hatte. Doch sie liebte immer noch ihren Sohn, auch wenn sie es öffentlich nicht zugab und wünschte sich, er würde eines Tages wieder zurück nach Hause kommen. Aziz aber freute sich auch, sein Sohn würde also ein Mönch des Klosters d'Ghsale werden. Dies war gewiss eine Ehre und nun umso mehr, da sein Sohn ein Schwerverbrecher war.
Barsaumo dachte immer wieder an seine Eltern in diesen wichtigen Momenten, an denen sich sein Schicksal entscheiden würde. Er bereute mehr denn je alles, was er getan hatte. Wie gut hatte er es doch damals bei seinen Eltern gehabt. Niemand hatte etwas von ihm verlangt und viele Dorfbewohner wollten sogar nichts von seiner Existenz wissen. Doch er besann sich immer wieder. All dieses Wehklagen und diese Zweifel brachten ihn nicht weiter. Dann aber, das war genau auf der Hälfte des Weges, hielt er erschrocken inne. Erst jetzt dachte er an Scham'en. Scham'en war doch am Ausbruch seines Streites mit Tuma schuld gewesen. Jener Scham'en kannte sein Geheimnis. Würde er denn aus Respekt vor dem toten Tuma das Geheimnis für sich bewahren, fragte er sich. Dann beruhigte er sich und eilte weiter geradeaus. Für Scham'en würde die Enthüllung seines Geheimnisses und die öffentliche Hetze gegen ihn wegen seiner Abwesenheit keinen Sinn mehr machen, dachte Barsaumo. Sein Fortgang war also nur konsequent, denn, wenn Scham'en es doch jemandem erzählt hätte und hätte es dann die Runde gemacht, dann hätten die Badeboje ihn sicherlich auch im Kloster und sogar auch als Mönch ergriffen und zur Verantwortung für seine schrecklichen Taten gezogen. Er wäre dann nicht nur als Verbrecher gebrandmarkt, sondern, viel schlimmer noch, als Verräter.
Jetzt dankte er dem Abuna noch einmal und bekreuzigte sich wieder. Abuna Isa hatte er seinen Totschlag Aisches gebeichtet und der weise Priester hatte schon jene Ereignisse kommen sehen.
Er war am Ende seiner
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