Liebe und Völkermord
nach oben und da sah er seinen kleinen Bruder wieder. Gabriel flog gen Himmel. Da sah er es. Es gab also Hoffnung. Es gab also doch etwas, für das es sich zu kämpfen lohnte. Durch das Maul eines Tieres wollte er nicht sterben. Er wollte für eine große Sache und durch die Hand eines Menschen sterben. Im Krieg für seinen Glauben wollte er sterben. Dazu war er nun bereit und entschlossener denn je.
Das Wildschwein heulte auf und rannte direkt auf Matthias zu. Der Kleinwüchsige sprang zur Seite, das Tier bremste zu spät und rannte vor einen Baum. Ihm blieb keine Zeit zum Verschnaufen, er rannte den Hang hinab. Beinahe wäre er gestürzt. Er rannte weiter und erreichte endlich das Tal. Wieder hörte er ein Rascheln. Das Tier verfolgte ihn, obgleich es seine Schwierigkeiten haben würde, den Hang hinab zu kommen, was er wusste. So lief er in Richtung Osten wieder zurück nach Badibe. Wenn er sich richtig entsann, dann war nur dreimal in seinem Leben in dieser Gegend gewesen. Dennoch hätte er sich nicht verlaufen. Und wenn doch, sein Instinkt und sein Gespür als Einheimischer hätten ihn früher oder später zurück nach Badibe geführt.
Als er zweihundert Meter zurückgelegt hatte, tauchte das Tier unten im Tal auf. Er hielt inne und drehte um zum Hügel links von ihm. Er überquerte es und gelangte wieder zurück zum Tal des Landweges zwischen Sederi und Badibe. Hier wähnte er sich in Sicherheit.
Als er wieder seine Höhle erreichte und sie betrat, war es wieder so bemerkenswert still. Weder hörte er den Wind noch irgendein anderes Geräusch der natürlichen Umgebung.
Er trug immer noch dieselbe Kleidung seit dem Tag des Angriffs der Türken auf Badibe. Sein weißes Hemd und seine schwarze Stoffhose waren zerlumpt. Seine Haut war braun gegerbt. Sein Haar hing glatt herunter, es sah nass aus und glänzte. Seine Gesichtshaut glänzte ebenfalls. So sehr schwitzte er.
Wieder setzte er sich auf seinen Platz hin, genau dort, wo er vor seinem Aufbruch zur Suche nach Soraja gesessen hatte. Was hatte er denn noch vom Leben zu erwarten? Nun war er schon zweimal knapp dem Tode entkommen, einmal in Kafro beim Ansturm der Türken und eben erst bei der Attacke des Wildschweins. Gläubig war er schon, so galt Selbstmord und auch heraufbeschwörender Mord an ihm oder sich vorsätzlich einem tödlichen Unfall hinzugeben als Sünde seiner Meinung nach. Er musste weiterleben und seine ihm von Gott auferlegte Aufgabe erfüllen. Ganz gleich, ob die Aramäer ihn lassen würden oder nicht, er wollte nur noch sein Volk bei seiner Selbstverteidigung gegen seine Feinde unterstützen. Und wenn er nicht als Soldat durch sie eingesetzt würde, so würde er doch mit seinem breiten Wissen über die Kriegsgeschichte einen wichtigen Beitrag leisten können.
Frohen Mutes stand er auf und verließ die Höhle. Unten am Tal angekommen bewegte er sich in Richtung Badibe. Er hatte vor, seine Eltern aufzusuchen.
Überraschenderweise traf er Gaurije an. Gaurije stand vor einem Dattelbaum und pflückte die Früchte. Er warf sie in einem zu seinen Füßen liegenden Korb. Matthias freute sich, ihn wiederzusehen, obgleich er Angst hatte, er würde ihn wegen seiner Flucht in Kafro ermahnen. Gaurije ging seiner Arbeit nach und sah den Kleinwüchsigen nicht. Matthias blieb am Rand des Landwegs stehen und wartete. Er überlegte, wie er ihn ansprechen sollte. „Nirgends schmecken die Datteln besser als die von hier.“
Matthias fielen keine besseren Worte ein. Gaurije drehte sich zu ihm um. Seine Miene war ausdruckslos. Er drehte seinen Kopf wieder um und pflückte noch eine Frucht. Dann jedoch drehte er sich wieder um und warf die Dattel in Matthias' Richtung. Matthias war kein besonders guter Fänger, doch zu seinem Glück fing er die Frucht mit beiden Händen. Er lachte, Gaurije aber guckte nur mit starrer Miene. Matthias teilte mit seinen Händen die Frucht entzwei und biss in sie hinein. Er biss alles innerhalb der Schale ab, schluckte es herunter und warf die Schale danach auf den Boden. „Tut mir leid, dass ich einfach so weggerannt bin. Es ging alles so schnell. Ich weiß nicht mehr, was genau geschehen ist.“
Gaurije ging weiter seinem Geschäft nach. Offenbar war er dem kleinen Mann gegenüber nachtragend, oder er verstand ihn nicht. Der Kleinwüchsige verzog seine Miene. „Du bist doch Gaurije, der mit mir nach Kafro gegangen ist, oder etwa nicht? Kannst du dich nicht mehr daran erinnern?“
Gaurije hielt inne. Er senkte sein Haupt und
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