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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Imran
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getrocknetes Hühnerfleisch eingepackt, doch den Aramäer konnte nicht einmal dieser herrliche Geruch erheitern.
    Tagsüber, kurz nach Mittag, wagte er sich noch einmal hinauf zum Gipfel. Im Tal unten war es nun laut. Er hörte die Stimmen der Söldner. Er lugte für einen kurzen Moment aus seinem Versteck.
    Da sah er das riesige Heer der Moslems. Es erstreckte sich über das gesamte Gebiet, auch auf der anderen Seite des Dorfes waren Soldaten stationiert, wie er nun sehen konnte.
    Er ging wieder zurück in seine Höhle. Dort konnte er sowieso nicht lange bleiben. Entweder er wagte den Weg durch das Lager der Muslime und schaffte es durch ihre Reihen hindurch bis zur aramäischen Festung oder er machte kehrt und suchte in einem der noch bewohnten Dörfer der Aramäer Unterschlupf.
    Er entschied sich für den ersten Weg.
    Er setzte sich hin. Rechts neben ihm in der Ecke stand sein Gewehr. Genau daneben auf dem Boden lag der Säbel. Er griff zur Feldtasche. Sie war schwer, wog etwa zehn Kilogramm. Er holte die drei Dolche heraus. Darunter, auf den Essensbeständen, lag ein mit einem festen Faden zusammengebundenes Tuch. Er hielt es mit seiner linken Hand hoch und betrachtete es. Diese Waffe war weit gefährlicher und effektiver als seine anderen Waffen.
    Er legte das Tuch auf seinen Schoß und löste den Faden. Der pulverähnliche weiße Stoff umfasste den Mittelteil des Tuches, es sah aus wie ein Beutel und der Stoff füllte das Innere wie der Sand das obere Glasteil einer Sanduhr.
    Mit dieser Waffe würden die Moslems nicht rechnen, das hatte ihm schon der kluge Araber gesagt. Er musste nur noch den sie mit Wasser versorgenden Brunnen finden und den Pulver hineinwerfen.
     
    Muhammad Mustafa Ali saß auf einem kleinen Steinbrocken und starrte vor sich hin. Zu seiner linken Seite erhob sich eine endlos lange Reihe von dunkelgrauen, hoch stehenden Zelten, und unweit von ihm zu seiner rechten Seite erhob sich der Westhügel von Iwardo.
    Wieder dachte er an seine armenische Frau. Wenn er wieder zuhause sei, würde er nicht mehr derselbe Mann wie vorher sein.
    Sein Kamerad Omar trat an ihn heran und setzte sich zu seiner linken Seite hin. Sie nickten sich nur gegenseitig zu und schwiegen eine ganze Weile lang.
    Dann traten zwei weitere ihrer Kameraden hinzu, Osman und Amir. Sie setzten sich gegenüber von Omar und Muhammad hin.
    Muhammad jedoch schien die Anwesenheit seiner Kameraden nicht zu stören. Es gab hier keinen Ort, wohin er sich zurückziehen konnte, einen ruhigen Ort, wo er hätte allein sein können, und wenn er zu lange fort geblieben wäre, dann hätten sie Männer losgeschickt, um ihn zu suchen. Es war ein Gefängnis.
    „Woran denkst du, mein Freund?“, fragte Omar Muhammad.
    Muhammad wandte sich nach links, schaute ihn an und lächelte. „Ich denke an meine Frau. Ich frage mich, wann ich sie endlich wiedersehen darf.“
    „Ich bete dafür, dass diese Belagerung bald zu Ende geht.“
    „ Ich weiß nicht, ob sie mich dann noch lieben wird, wenn ich ihr erzähle, was ich getan habe.“
    „ Was du tun musstest, Muhammad! Du hattest keine andere Wahl.“
    Muhammad starrte wieder auf den Boden zu seinen Füßen. Große Verbrechen, große Sünden, hatte er begangen. Seine Frau würde ihm diese niemals verzeihen. Vermutlich sei sie schon längst aus seinem Haus geflohen, als sie von irgendeinem ihrer Bekannten die Wahrheit über seinen Feldzug erfahren hatte.
    Ihm kam wieder der Gedanke, zu desertieren. Er würde doch sowieso sterben, dachte er, und das Desertieren sei zumindest eine Gelegenheit, sein Leben zu retten und die Reue seiner Sünden glaubhaft zu machen. Die Gefahren waren ihm gleichgültig geworden.
    Er schaute auf zu seinen Kameraden. Osman und Amir hatten auch Ehefrauen, ebenso Omar. Sie müssten wohl auch ständig an ihre Familien denken, dachte er. Auch sie hätten wohl Heimweh und würden um ihr Leben fürchten. Diese Männer wären tapferer als er, erkannte er. Die Schmach hätte zu schwer gewogen. Diese Männer konnte er nicht im Stich lassen. Das war der einzige Grund, weshalb er im Lager blieb und aufopferungsvoll und tapfer an der Seite seiner Kameraden kämpfte.
    Dann dachte er an die alte aramäische Frau. Er hatte sie nicht einmal getan. Sie hatte ihm persönlich nichts Böses angetan. Er hatte ihr die Kehle durchgeschnitten und all ihren Schmuck geraubt. Welch eine Bestie doch in ihm stecke, dachte er. Den Schmuck wollte er nicht mehr in seinem Besitz wissen. Er nahm sich vor, auf

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