Liebe und Völkermord
ihn nie wieder sehen!“
Siwar wandte sich seiner Mutter zu, doch sie stieß seinen linken Arm von sich.
„Ja, Mutter, du hast recht. Es ist meine Schuld. Ich trage die Schuld an seinem Tod. Ich bitte dich um Verzeihung.“
„ Matthias, komm mit mir mit! Sie rufen nach dir. Sie warten auf uns dort oben im Kloster d'Ghsale.“
Erst jetzt bemerkte Matthias die Anwesenheit seines Vaters.
Sie zog an Siwars linken Arm. Siwar trottete ins Haus hinein. Maria zitterte am ganzen Körper. Sie hatte Schweißperlen auf ihrer Stirn, als hätte sie Fieber. Ihr Gesicht war bleich geworden. „Du tust genau, was ich dir sage, hast du verstanden?!“
Er umfasste mit seinen Händen die ihren. Ihm lag jetzt alles nur noch daran, sie zu beruhigen.
„ Du wirst zu ihrer Versammlung hingehen. Und egal wen sie als Schuldigen ausfindig machen, du wirst ihnen sagen, dass Matthias Schuld an allem hat und nur er allein bestraft werden solle.“
„ Mutter, beruhige dich. Du weißt nicht, was du da sagst“, erwiderte Siwar seiner Mutter und schaute dabei deprimiert drein.
Wie eine schüchterne Zeugin trat nun Rahel aus der Dunkelheit, aus der linken Seite des Hauses hervor. Sie war eine anmutige junge Frau. Obwohl erst 14 Jahre alt, war sie schon zu einer Frau herangereift. Sie war introvertiert, mischte sich nie in familiäre Streitereien ein und gehorchte stets ihrer Mutter. Ihr glattes prachtvolles schwarzes Haar reichte ihr bis zur Hüfte. „Tu, was Mutter dir gesagt hat!“
Der junge Mann hielt inne. Er schüttelte den Kopf, war völlig verwirrt und verzog seine Miene, als würde er starke Schmerzen verspüren.
Maria geisterte im Raum umher. Rahel kam ihr entgegen und stützte sie. Die Mutter schloss ihre Augen und ließ sich vorsichtig auf den Boden fallen.
„Tu, was sie gesagt hat und mach dich endlich auf den Weg!“
Siwar verschwand hinter der Haustür.
Was hatte sie da ihrem Sohn aufgetragen? Er sollte seinen eigenen Bruder der Gerichtsbarkeit des Dorfes und des Aghas ausliefern? Der Verlust ihres Sohnes Gabriel ließ sie geistig nicht mehr ruhen. Das Bild vom Augenblick, als sie ihn tot auf dem Boden sah, verharrte seitdem in ihrer Erinnerung. Kein Auge mehr konnte sie zudrücken. Sie verfluchte die Welt und sich selbst. Ja, sie war eine Verdammte, dessen war sie sich nun absolut sicher. Würde sie jemals wieder an etwas Anderes denken können? Würde sie jemals wieder Freude und Glück empfinden können? Würde sie jemals wieder schlafen und von etwas Schönem träumen können? Würde sie überhaupt jemals wieder Liebe für einen anderen Menschen empfinden können?
Rahel weinte. Sie heulte.
Ihre Mutter saß mit nach vorne gestreckten Beinen auf dem Boden, leblos auf die Haustür starrend.
Die Tür öffnete sich.
Aziz betrat das Haus.
„Wo ist Onkel Matthias, Tante?“
Rahel keuchte. „Er ist oben im Kloster zusammen mit Vater. Was willst du von ihm?“, flüsterte sie.
Aziz wandte sein Gesicht ab. „Ich habe auf ihn gewartet. Er ist nicht gekommen.“
„ Was hast du da in der Hand?“
Aziz steckte die Patronenhülse in seine rechte Hosentasche. Rahel hielt mit dem Weinen inne und starrte ihn neugierig an. „Jetzt sag schon! Was hast du da in der Hand gehabt?“
„Nichts Besonderes, Tante.“
Marias toten Augen bewegten sich und gafften Aziz an. Der kleine Junge fürchtete sich und trat einen Schritt zurück. „Antworte deiner Tante!“
„Wehe, du lügst!“
Der Junge dachte daran, zu fliehen. Doch es war schon zu spät. Wohin sollte er denn fliehen? Seine Tante und seine Großmutter würden sich an seine Eltern wenden. Was hätte er dann seinen Eltern erzählen sollen?
„Komm her!“
Aziz trat widerwillig an Rahel heran. Sie griff mit ihrer linken Hand in seine Hosentasche. Sie zog die Patronenhülse heraus und hielt sie in die Luft. Sie starrte darauf wie ein Kind, welches etwas gesehen hat, was es noch nie zuvor gesehen hat.
Marias Augen rührten sich wieder. „Von wo hast du sie? Und warum wolltest du zu Matthias damit?“
„ Ich habe versprochen, niemand etwas davon zu sagen.“
Die Großmutter riss ihre Augen weit auf. „Du wirst es uns jetzt sofort sagen!“
Er erzählte ihnen vom Vorfall.
Rahel nickte einsichtig, gemäß ihrer Art sagte sie jedoch nichts. Maria starrte wieder in Richtung Haustür. „Der Sohn des Murad, des verdammten Murad. Mögen er und all seine Vorfahren für immer verdammt sein!“
„Großmutter, ich darf nicht zur Versammlung. Was machen
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