Liebe und Völkermord
Ali.
Ob es nun an der Wärme der Liebe seiner Frau lag oder an der Einsicht, welche neuen Wege ihm durch das erst kürzlich zugetragene Ereignis geöffnet wurden.
Er wälzte sich im Bett, richtete sein Haupt auf und küsste seine Frau Aische leidenschaftlich auf den Mund, so begierig wie in ihrer Hochzeitsnacht.
Sie spreizte ihre Beine, schloss ihre Augen und stöhnte leise. Sie schwieg in solchen Momenten, als sei sie tief versunken in irgendwelche Gedanken oder schwelgend in irgendwelche Erinnerungen, jedoch war sie voll anwesend und hörte dem Wesir aufmerksam zu.
„ Ich werde gleich sofort nach Badibe reiten. Dort muss ich von den Dorfbewohnern in Erfahrung bringen, wohin meine beiden türkischen Gefährten geritten sind und ob sie ihnen gesagt hatten, was sie vorhatten. Irgendwie kann man in diesen Tagen niemand mehr trauen. Dem Agha Bilad nicht und auch diesen Türken nicht. Der eine von ihnen, Jüsbaschi Mustafa Ali erzählte mir nebenbei, es würde ein großer Krieg zwischen den europäischen Großmächten toben. Ihre Absichten sind allzu offensichtlich. Aber was ist mit uns? Auch wenn wir in der Religion vereint sind, traue ich ihnen nicht. Es ist dasselbe wie mit dieser Baghdad-Bahn. Sie ziehen ihre Pläne durch, wie sie wollen. Ich fürchte, wir alle sind nur ein Spielball in ihren Plänen.“
„ Wann kommst du wieder zurück, Geliebter?“
Sie drehte sich um. Er nahm sie von hinten.
„Noch heute Nacht, mein Schatz.“
„ Sei … Sei vorsichtig.“
Diese Stellung befriedigte seine Lust am nachhaltigsten. Nach der Ejakulation ließ er sich zur Seite auf den Rücken fallen. Er lächelte wie ein im siebenten Himmel schwebender Mensch. Aische richtete sich auf, ging zum Nachttisch, und schmierte sich etwas vom Kajal auf ihre Augenlider. Während ihrer Liebesstunden rann ihr die Schminke vom Gesicht herunter.
„Irgendjemand von ihnen hat auf mich geschossen. Aber ich werde von ihnen nicht verlangen, den Attentäter auszuliefern. Das ist keine gute Idee, solange ich nicht weiß, was der Agha und der Jüsbaschi vorhaben. Stattdessen muss ich diese Aramäer für mich gewinnen. Außerdem habe ich auf diesen kleinen Jungen geschossen. Er war so leichtsinnig. Ich wollte das nicht. Ich werde mich bei ihm und seinem Vater entschuldigen.“
„ Hoffentlich wird er wieder gesund.“
Aische drehte sich um und schaute Muhammad an.
„Du bist so schön“, sagte er zu ihr und lächelte.
Verblüfft sahen die Aramäer den Wesir munter nur wenige Schritte vor ihnen stehen. Sie schauten ihn verdutzt, bisweilen ängstlich an, jedoch trug er keine Waffen bei sich, noch war er in Begleitung von Soldaten gekommen. Abuna Isa machte mit seiner linken Hand eine Bewegung wie beim Herunterpressen eines flachen Steins in den Boden in Richtung von Muchtar Murad und deutete ihm an, sein Gewehr zu senken.
Matthias betrachtete die Gesichter der Anwesenden. Was würde nun geschehen? Er dachte, in jedem Moment würde sich eine Tragödie ereignen. Er musste etwas unternehmen. „Ich habe Meridschan nichts angetan“, sagte er zu Abdullah, jener aber hörte ihn nicht und starrte immer noch gebannt den Wesir an. Der Kleinwüchsige trat nach vorne, er eilte so schnell, der Muchtar dachte, er wolle sich auf den Wesir stürzen. Die Männer schauten verwirrt drein. Isa wagte es nicht, etwas gegen Matthias' Vorhaben zu unternehmen und blieb beim Abuna stehen.
Doch dann hob der Bürgermeister sein Gewehr. „Wesir, schaut, mit diesem Gewehr habe ich auf Euch geschossen!“
Matthias hielt inne, drehte sich zu Murad um und schaute ungläubig. Es war nun still. Jeder konnte das Brausen des Windes vernehmen. Alle Aramäer schwitzten aus allen Poren.
Der Wesir lachte. „Ihr, Muchtar Murad? Warum lebe ich dann noch? Seid Ihr etwa solch ein schlechter Schütze?“
Der Muchtar wusste nicht, was er dem Wesir antworten sollte.
„Wollt Ihr mich auf den Arm nehmen? Nein, Ihr habt nicht auf mich geschossen. Jemand Anderes muss es gewesen sein.“
Der Abt wollte intervenieren, doch hatte er immer noch nicht genau erfahren, was geschehen war. Die Mönche des Tur Abdin waren Gelehrte und Einsiedler. Das Tagesgeschehen war ihnen gleichgültig. Als Abuna Isa und der Arzt Abdullah das Kloster betraten, hatte der Abt eine Vorahnung, jedoch hielt er sich abseits der Gesellschaft.
„Wesir, wir bedauern zutiefst, was Euch widerfahren ist. Wir bitten Euch um Verzeihung. Ich nehme alle Schuld auf mich. Wenn Ihr einen Täter sucht, so nehmt
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