Liebe und Völkermord
wir jetzt?“
Isa
„Aus Staub wurdest du erschaffen und zu Staub zerfällst du wieder“, stammelte der Vater vor sich hin.
„ Es tut mir alles leid, Vater.“
Isa schlenderte den Landweg entlang wie ein geistig Verwirrter. Sein Anblick vergrämte Matthias. Es gefiel ihm nicht, seinen Vater in diesem Zustand zu sehen. Was hatte er ihm nur angetan?
Isa war ein bescheidener Mann. Er hatte seinem Vater in allen Dingen gehorcht und war stets pflichtbewusst gewesen. Er erbte den Großteil der Viehherde seines Vaters, über 100 Ziegen und Schafe und einige Rinder, und dazu das Wohnhaus seiner seligen Eltern mitsamt dem Grundstück der Ebene unterhalb des Berghangs auf der südwestlichen Seite des Dorfes.
Nie erhob er seine Hand gegen irgendjemanden. Nur ein einziges Mal. Das war, als er um Marias Hand anhielt und Marias Vater sich erst weigerte und schließlich doch noch Isa die Hand seiner Tochter gab.
Ein frommer Mann war er, welcher es nie versäumte, sonnabends und sonntags den Gottesdienst in der Mutter-Gottes-Kirche von Badibe zu besuchen. Zu Abuna Isa pflegte er guten Kontakt.
Dennoch war er ein Mann vom Volke, kein Eigenbrötler sondern ein Mitläufer, genauso wie seine Ehefrau Maria.
Er liebte zwar alle seine Kinder, doch machte er nie einen Hehl daraus, in welches seiner Kinder er alle seine Hoffnungen setzte. Matthias schalt er oft, er solle sich doch ein Vorbild an seinen älteren Brüdern nehmen. Jeden Abend besuchte er seinen Erstgeborenen Isa in seinem Haus. Der Anblick seiner Enkelkinder erquickte ihn nach solchen langen Arbeitstagen. Auch wenn nicht alles in seinem Leben so gekommen war, wie er es sich gewünscht hatte, so konnte Isa sich doch als einen glücklichen Mann bezeichnen.
„ Wir werden sehen, was der Abuna sagt.“
Matthias blieb nichts Anderes übrig, als seinem Vater schweigend zuzustimmen. Nur mühsam konnte er mit seinem hastenden Vater Schritt halten.
Sie durchstreiften das Gehege auf dem Hang hinauf zum Kloster d'Ghsale. Um dieses Kloster rankten sich viele Legenden. Wer es erbaut hatte, blieb unklar. Einmal hieß es, die drei heiligen Könige hätten es auf ihrer Durchreise durch dieses Gebiet errichtet. Zumindest die kleine Kapelle im Inneren des Klosters sollten sie errichtet haben. Ein anderes Mal erzählte man sich, einer der Apostel persönlich hätte es gebaut.
Sie war zum Teil in den Berg gehauen, also eine Höhle.
Isa klopfte ans Tor. Der Abt Abuna Juhanun öffnete es. Prompt erblickte Isa den Abuna Isa und an seiner Seite den Arzt Abdullah Raschid.
Isa und Matthias traten ein. Neben dem Abt standen noch drei weitere Mönche, sitzend im Eingang zu ihren Höhlen, auf der östlichen Seite des Klosters.
Genau in der Mitte des Innenhofes standen nun Abuna Isa, Abdullah, der Dorfälteste Aljas und Muksi Antar, und Isa und Matthias. Der Abt fragte sie, ob jemand von ihnen etwas zu trinken wünsche. Isa lehnte dankend ab.
Es wurde nun laut. Die alten Männer redeten durcheinander. Der Abuna Isa streckte seine Arme in ihre Richtung aus und ermahnte sie, die Ruhe zu wahren. Er senkte wieder sein Haupt, als sei er im Geiste verloren. Er sagte mit gedämpfter Stimme, er sähe Unheil über das Dorf kommen.
Abdullah warnte die anwesenden Aramäer, es tobe in Europa ein großer Krieg, die Osmanen würden an der Seite der Deutschen kämpfen, unter anderem wieder gegen die Russen. Sie alle wüssten doch, wie gefährlich für sie die Lage sei, wenn sich das Osmanische Reich mit dem Russischen Reich im Krieg befinde.
Muksi Antar empörte sich und rief die Anwesenden auf, dem Kurden nicht zu glauben. Abuna Isa wies den Mann zurecht, Abdullah sei ein treuer und integer Mann.
„Was sollen wir jetzt machen? Der Agha wird mit seinen Männern kommen und die Überführung des Täters verlangen. Wen sollen wir ihm denn ausliefern?“, fragte der Dorfälteste in die Runde.
Hinter den Männern öffnete der Abt das Tor. Muchtar Murad trat in die Männerrunde ein. Die Männer traten zur Seite, Murad hatte sein Gewehr dabei. Er starrte die Versammlung grimmig an, auch den Abuna. „Ich bin es gewesen.“
Die alten Männer wurden wieder laut. Der Dorfälteste fuhr Murad an, warum er es denn getan habe. Der Abuna stellte sich zwischen die Männer, um sie zu schlichten. Matthias hielt sich abseits und überlegte, ob er sich in die Angelegenheit einmischen sollte. Ehe er dazu kam, vernahm er wieder das Quietschen des Tores. Mit Entsetzen erblickte Matthias den Wesir Muhammad
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