Liebe und Völkermord
Sein vom Schießpulver und Staub verdrecktes Gesicht glich dem vieler anderer Männer. Als er nur noch einen Meter vor ihm stand, wusste er endlich, wer er war. „Ah, du bist Barsaumo, der Sohn des Aziz.“
„ Ich freue mich, dich zu sehen, Bruder.“
Matthias schaute zum Abt. Der Mönch starrte die ganze Zeit über, offenbar hatte er Angst vor Barsaumo. Matthias hob seine rechte Hand und nickte. Der Mönch war erleichtert und verschwand durch die Eingangstür zu den Räumen auf der anderen Seite.
Matthias setzte sich zu Barsaumo auf den Boden hin und lehnte wie er seinen Rücken an die Wand. „Wie bist du hierher gekommen?“
„ Bruder, es ist sehr viel Schlimmes passiert. Ich bin aus unserem Dorf gegangen. Ich wollte nur noch weg, weit weg sein. Unterwegs traf ich auf eine Karawane und ich merkte, es war falsch, vor dem Moslem wegzulaufen. Nachts stahl ich drei Messer, einen Säbel und ein Gewehr von ihnen und machte mich auf in Richtung Iwardo. Als ich hier ankam, sah ich das riesige Heer der Moslems vor dem Dorf. Da kam ich auf die Idee, sie von hinten aus zu schwächen. Ich habe einige von ihnen getötet. Als sie die Festung stürmten, schlich ich mich bei ihnen ein. Sie haben es nicht gemerkt.“
Seine Geschichte faszinierte Matthias. Barsaumo fühlte sich nicht wohl dabei, doch er musste bei einigen Details der Geschichte den kleinwüchsigen Mann anlügen. Er traute sich nicht, die ganze Wahrheit zu erzählen.
„Wie geht es meiner Familie? Hast du sie noch einmal gesehen?“
Barsaumo räusperte sich, denn er schämte sich. „Nein. Tut mir leid.“
„Woher wusstest du, dass ich hier bin?“, fragte Matthias ihn neugierig. Barsaumo nickte. „Ich habe mich zu den ersten Reihen geschlichen. Während des Angriffs habe ich dich gesehen. Ich stand hinter dem Tor. Du suchtest Schutz hinter dem Brunnen.“
Nun räusperte sich Matthias, weil er sich schämte.
Barsaumo lächelte darauf überraschenderweise. „Und ich habe noch etwas gefunden.“
Er griff in seine Feldtasche und zog ein Buch hervor. Matthias' Augen wurden ganz groß vor Freude.
„Ich suchte ein gutes Versteck und da fand ich eine kleine Höhle in guter Lage. Dort fand ich dieses Buch hier. Ich kann das nicht lesen. Eben habe ich es dem Abuna gezeigt, er hat mir diese Schrift vorgelesen und da dachte ich mir, es könnte vielleicht von dir sein.“
„ Ich danke dir. Als ich hierher kam, stand das Heer schon vor dem Dorf. Ich musste mich durch das Lager hindurch schleichen. Das Buch war nur eine unnötige Last und ich musste es leider zurücklassen.“
Barsaumo klopfte ihm auf die Schulter.
„Ich komme später wieder“, sagte Matthias und stand auf.
„ Ich gehe später zu den Männern und biete ihnen meine Hilfe bei der Verteidigung der Festung an.“
„ Ich werde zurückkommen. Wir gehen zusammen hin.“
Barsaumo nickte. Matthias eilte zur Eingangstür und verschwand hinter ihr. Barsaumo lehnte seinen Kopf zurück, schloss seine Augen und versuchte, sich zu entspannen.
Die Sonne schien mitten in den Innenhof hinein. Sie traf auch auf sein Gesicht. Der Gestank der Leichen und der Lebenden zog sich über den ganzen Hof.
Im nächsten Augenblick öffnete er seine Augen, stand auf und ging zum Brunnen. Dort standen zwei Frauen, eine von ihnen war 40 Jahre alt. Sie hatte den Eimer hochgezogen und auf den Rand gestellt. Sie fasste mit ihrer rechten Hand in das Wasser hinein. Barsaumo hob seine linke Hand. „Nein! Halt! Ihr dürft nicht davon trinken! Es ist wahrscheinlich vergiftet!“
Die Frau erschrak und trat zurück.
Er nahm den Eimer, stellte ihn vor sein Gesicht, fasste mit seiner linken Hand hinein und zog seine Hand wieder heraus. Dann leckte er an seiner Hand. Er nickte. „Ich habe gesehen, wie einer der Moslems etwas in den Brunnen warf. Es muss Gift gewesen sein. Ich kann es schmecken. Es ist tatsächlich vergiftet.“
Die beiden Frauen hielten sich entsetzt die Hand vor dem Mund.
Die 40-jährige Frau wandte ihren Blick nicht von ihm ab.
Er packte den Eimer mit beiden Händen und kippte das Wasser über seinen Kopf. Das Wasser planschte auf den Boden vor dem Brunnen. Mit den Ärmeln seines ebenfalls verdreckten Hemdes wischte er den Dreck aus seinem Gesicht. Nun erlangte sein Gesicht wieder seine Aura.
Die 40-jährige Frau blinzelte mit ihren Augen. Sie war überrascht. Barsaumo schaute nach unten. Er dachte an all das ihm und den anderen widerfahrene Leid und an das, was ihnen noch bevorstehen würde.
Die
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