Liebe und Völkermord
ihm jetzt Anderes noch übrig? Er sehnte sich nach Liebe, nach der Wärme der Liebe einer Frau. Daniela war trotz all der negativen Vergangenheit noch die Frau, von der er sich vorstellen konnte, mit ihr an seiner Seite den Rest seiner Lebenstage verbringen zu können.
Sie zog ihre Lippen an, es sah wie ein Lächeln aus.
Beide schwiegen sie wieder eine ganze Weile lang und schauten die Menschen um sie herum an. Farida, Danielas Nachbarin und beste Freundin aus dem Sederi, kam herbei und setzte sich zu ihrer linken Seite hin. Sie fragte nach ihrem Wohlbefinden. Sie schaute Matthias mit schrägem Gesichtsausdruck an. Nach einer Weile betrachtete sie ihn wieder und seufzte dann. Matthias nahm ihre Respektlosigkeit zur Kenntnis, hatte aber nicht vor, sie verbal anzugreifen.
Daniela ihrerseits beachtete Faridas Gegenwart nicht weiter. Die im siebenten Monat schwangere Farida fühlte sich durch seine Gegenwart und seinem Kontakt zu ihrer Freundin gestört. Daniela aber wollte ungestört mit Matthias reden, was freilich an diesem Ort unmöglich zu sein schien.
Matthias reichte Farida den Rest seines Brotlaibes, ein Viertel von dem Ganzen, sie aber hob ihre rechte Hand und wandte ihr Gesicht ab.
Er jedoch bestand darauf. „Nimm es. Du musst an das Kind in deinem Bauch denken!“
Schließlich nahm sie es und bedankte sich bei ihm. Sie schaute ihn nicht mehr an. Ihre Laune änderte sich, ihre Stimmung wurde besser. Sie lächelte nun. Als sie das Brot aufgegessen hatte, lächelte sie wieder. „Glaub mir, Daniela, Schatz, wir werden diesen Alptraum überleben. Gott wird uns nicht verlassen.“
„Du hast recht, er wird uns nicht verlassen“, stimmte Daniela ihr zu. Farida lächelte sie an. „Weißt du noch an deinem Hochzeitstag, als ich dich schminkte und wir tanzten. Mein kleiner Stephan trat dir immer wieder auf dein Kleid. Dein Bräutigam, Gott sei seiner Seele gnädig, wies ihn zurecht, was mein geliebter Thomas nicht duldete und beleidigt die Feier verließ. Ich aber wich nicht von deiner Seite. Weißt du noch, wie lange wir über die Männer gelacht haben. Wie schön doch jene Tage waren.“
Sie weinte und hielt ihre rechte Hand vor ihre Augen. Daniela legte ihren linken Arm auf ihre Schulter. „Sie sind jetzt im Paradies.“
Matthias realisierte es, Farida hatte ihren Mann und ihren kleinen Sohn bei den Massakern verloren. Durch was für eine Hölle muss diese Frau gegangen sein, fragte er sich.
Farida hatte mitansehen müssen, wie ihr Mann und ihr Sohn von den Kurden abgeschlachtet wurden. Sie kämpfte nur wegen des Kindes in ihrem Leib um ihr Überleben. Bisweilen überkamen sie Zweifel und sie schämte sich, noch am Leben zu sein.
Daniela stand auf. Farida schaute verwirrt zu ihr auf. „Wo willst du hin?“
„ Ich gehe zum Brunnen, um frisches Wasser zu holen.“
„ Setz' dich bitte wieder hin. Ich gehe schon“, sagte Matthias.
Sie drehte sich zu ihm um und schaute ihn mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an, er war eine Mischung aus Verzweiflung, Hilferuf und Mitleid. Matthias hielt inne und setzte sich wieder hin.
Daniela ging fort. Matthias dachte über sie nach. Er war von Meridschan und auch Soraja enttäuscht worden und von Daniela damals ebenfalls. Daniela aber war stets ehrlich zu ihm gewesen. Er wusste diese ihre Ehrlichkeit zu schätzen, jetzt mehr denn je.
Nun verstand er ihr Zeichen. Sie wollte an einem ruhigen Ort mit ihm zusammen sein. Er stand auf und ging aus dem Raum heraus. Farida beobachtete ihn aus dem Augenwinkel ihres rechten Auges. Sie blieb sitzen und gab vor, seinen Weggang nicht zu sehen.
Draußen am Brunnen im Innenhof des Klosters fand er sie nicht vor. Um den Brunnen herum standen acht Frauen. Überall standen Frauen. Die Kinder standen in Gruppen neben ihren Müttern. Sie weinten, schrien, und manche von ihnen liefen durch den Hof.
Matthias schaute um sich, doch nirgends befand sich die hübsche Daniela. Er ging zum Eingang genau gegenüber. Er schritt durch den Gang. Im ersten Raum rechts befand sie sich nicht, im ersten links ebenfalls nicht. Ganz hinten am Ende des Ganges erblickte er schließlich im Dunkeln eine Gestalt. Er schärfte seinen Blick, konnte sie aber aus dieser Entfernung und bei dieser schlechten Belichtung nicht erkennen. Er schaute um sich, niemand außer ihm hielt sich im Gang auf. Er rannte zum anderen Ende. Sie verschwand durch eine Tür, links aus seiner Sicht. Er blieb vor der Tür stehen. Sie war verschlossen. Sie öffnete sich
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