Liebe und Völkermord
plötzlich. Daniela stand vor ihm. Sie lugte aus der Türöffnung. Sie riss die Tür auf, zog ihn herein und schloss sie wieder.
Matthias hatte nicht mit dieser überstürzten Handlung der Daniela gerechnet. Warum sie sich so sehr nach seiner Liebe – und nun auch nach seiner körperlichen Liebe – sehnte, konnte er sich nicht ganz erklären. Offenbar war ihr Mann nicht der Liebhaber ihrer Träume gewesen.
Er traute sich nicht, sie über ihren ermordeten Mann auszufragen. Vor Jahren hatten sie sich geliebt. Sie nahmen die Vermählung durch einen Priester und den Segen ihrer Eltern nicht ernst.
Sie umarmte ihn und küsste ihn auf seinen Wangen und auf seinen Mund.
Er hielt diese Leidenschaft für zeitlich unpassend und scheute sich, seiner Begierde nachzugeben.
Doch ihre Berührungen waren ihm sehr angenehm. So lange schon hatte er sich nach den intimen Momenten mit der Frau seiner Liebe gesehnt. Meridschan konnte dieses Gefühl nicht mehr in ihm wecken. Und Soraja hatte er wohl nicht wirklich geliebt.
Wenn es noch einen Grund zum Weiterleben gab und für den Kampf, dann war es die Liebe zu dieser Frau. Sie liebte ihn. Matthias freute sich. Er erkannte ihre aufrichtige Liebe. Es war kein Mitleid, dessen war er sich sicher. Und ihre Liebe kam nicht aus ihrer Verzweiflung oder ihrer Not heraus.
Sie liebte ihn tatsächlich, geistig und körperlich.
Er bewunderte sie zudem. Sie war doch so schön, eine der schönsten Aramäerinnen überhaupt. Selbst jetzt als Witwe hätte sie viele andere Männer als Ehemänner bekommen können. Die anderen Männer waren groß und entsprachen äußerlich den Vorstellungen einer Frau. Daniela aber war keine gewöhnliche Frau. Für sie spielte seine geringe Körpergröße keine Rolle. Wahrlich, sie war eine Frau, von der jeder Mann nur träumen konnte, dachte Matthias.
Sie schliefen etwa eine Stunde lang. Sie lagen nebeneinander. Trotz der widrigen und heiklen Umstände, in denen sie sich befanden, schämten und fürchteten sie sich nicht.
Als sie aufwachten, fragte er sie dann doch noch: „Wie hat dich Isa behandelt, als er es gemerkt hat?“
„Er hat mich nie berührt.“
Er setzte sich auf und schaute sie verwirrt an. „Warum nicht?“
„Er hielt sich lange bei seinen Freunden auf.“
Matthias verstand, was sie meinte. Mit dieser Neuigkeit hatte er ebenfalls nicht gerechnet. Er legte sich wieder hin.
„Er war ein guter Mann. Nie hat er mich angeschrien oder mich auf irgendeine Weise schlecht behandelt.“
„ Gott wird es ihm vergelten.“
Er war also ihre erste und einzige Liebe. Gott hatte es doch gut mit ihm gemeint, dachte er nun.
„Gottes Wege sind unergründlich. In der Tat, er ist der Größte“, fügte er noch hinzu. Dann stützte er sich mit seinem rechten Arm auf, schaute sie an und lächelte. Sie streichelte mit ihrer rechten Hand seine linke Wange.
Plötzlich hörten sie lautes Geschrei und Schüsse. Sie erschreckten sich und standen sofort auf. Matthias ging zur Tür, Daniela aber ergriff seine rechte Hand und zog ihn zurück. „Bleib hier! Hier sind wir in Sicherheit.“
„Ich will nur sehen, was geschehen ist!“
Widerwillig ließ sie ihn gehen. Er rannte durch den Gang zum Innenhof. Entsetzt blieb er am Ausgang stehen. Die Moslems standen am Tor. Sie richteten ihre Gewehre auf die Frauen, feuerten aber noch nicht. Einer von ihnen lief zum Brunnen. Die Frauen traten zur Seite. Er zog aus seiner linken Hosentasche einen kleinen Beutel hervor. Er löste den Faden. Matthias realisierte erst jetzt, offenbar hatte der Soldat vor, eine giftige Substanz in den Brunnen zu schütten. Er lief zum Brunnen. Schreiend stieß er den Soldaten zur Seite. Doch es war bereits zu spät, der Mann hatte die Substanz schon in den Brunnen gekippt. Der Mann fiel zur Seite. Er richtete sich wieder auf und zielte mit einer Pistole auf Matthias. Matthias schloss seine Augen. Doch der Mann feuerte nicht. Er lief zu seinen Kameraden am Tor.
Jetzt erst kamen die Aramäer, mit ihren Gewehren in ihren Händen, aus den Räumen in den Innenhof hinein und postierten sich genau gegenüber den muslimischen Soldaten, zielten auf sie und feuerten. Die Frauen schrien lauter, Matthias duckte sich hinter dem Brunnen. Einige von den Frauen liefen zu den Türen, um zu den Innenräumen zu gelangen, doch viele von ihnen wurden von den Kugeln der Kurden getroffen. Die Kurden und Türken rückten nach vorne. Erst jetzt fielen einige ihrer Männer zu Boden. Sie rückten jedoch immer
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