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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Imran
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süßesten Enkelkinder hättest du mir geschenkt. Oh, oh, mein geliebter Sohn, wo bist du? Warum haben sie dich mir weggenommen?“
    Die trauernde Mutter sah nun eine andere Frauengestalt vor ihrer Haustür. Es war wieder eine Fremde.
    Rahel zögerte, die Tür zu öffnen. Die Frau bat auf Kurdisch um Einlass. Die Tochter fragte sie, was sie denn wolle.
    „Seid Ihr die Mutter des getöteten Jungen?“
    Maria verdeckte mit ihrem dunklen Schleier ihr Gesicht, nicht aus Schamgefühl sondern aus Bescheidenheit.
    „Es tut mir alles leid. Mein Mann wollte nicht, dass es soweit kommt. Wenn es irgendetwas gibt, was ich für Euch tun kann, so sagt es mir. Glaubt mir, wir haben nichts Böses gegen Euer Volk im Sinn. Ich weiß, kein Geld kann ein Menschenleben aufwiegen. Bitte fasst dies als eine Geste guten Willens von meinem Mann und mir auf.“
    Sorgfältig hatte Aische ihre Worte gewählt wie ein eingefleischter Politiker. Ihr Mann hatte ihr das gelehrt.
    Sie zog einen schweren Beutel voll Silbermünzen hervor und hielt ihn Maria hin. Rahel wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Vor ihr stand die Frau des Mörders ihres Bruders, sie dürstete nach Rache, doch es war die Frau eines mächtigen Mannes, es wäre zu gefährlich für das gesamte Dorf, wenn sie ihr etwas antun würde, wie sie wusste. Sie streckte ihren rechten Arm aus, der Zeigefinger in Richtung Haustür deutend. Aische war noch sehr jung und hatte noch keine Kinder, jedoch konnte sie sich gut in Marias Lage versetzen. Ihr war jedoch nicht das wirkliche Ausmaß der Tat ihres Mannes bewusst, welch furchtbares Leid hatte er doch über diese arme Familie gebracht.
    Aische schlenderte durch das Dorf zurück zur Kreuzung auf der Südseite des Dorfes, wo es geradeaus auf den Gehweg hinauf zum Kloster d'Ghsale ging. Dort wartete sie auf die Rückkehr ihres Mannes.
    Was hatte sie sich dabei nur gedacht, als sie ihren Mann überredete, sie hier

 
    in dieses Dorf mitzunehmen, fragte sie sich. Sie war noch sehr jung und war nur selten aus dem Haus ihrer Eltern gegangen, weder mit noch ohne die Begleitung ihrer Eltern, noch hatte sie jemals die Welt außerhalb von Mardin gesehen. Zwar erschienen ihr diese Menschen so fremd, dennoch empfand sie Empathie für sie. Ging es ihr selbst denn wirklich gut? Liebte ihr Mann sie wirklich von ganzem Herzen? Kannte sie denn ihren Mann überhaupt? Zum ersten Mal in ihrem Leben machte Aische sich Gedanken über solche Fragen. Sie hatte ihren Mann über alles geliebt, jedoch nur seine äußere Hülle. Zwar hatte er ihr oft von seinen Unternehmungen erzählt und ihr sogar seine Geheimpläne verraten, doch spielte er das Ausmaß seiner Verbrechen herunter. Sie zuckte zusammen. Sie war mit einem Verbrecher, einem Schurken, einem Tyrannen, einem Mörder verheiratet. Viel schlimmer noch, sie war mit einem Kindermörder verheiratet. Sollte sie denn noch warten auf diesen Scheusal? Sollte sie denn nicht viel lieber verschwinden, irgendwo untertauchen, wo er sie nie wieder finden würde? Oder sollte sie sich nicht lieber von ihm scheiden lassen und in ihr Elternhaus zurückkehren?
    Ihre Eltern aber würden eine Scheidung nicht akzeptieren. Fliehen oder irgendwo untertauchen, könnte sie auch nicht machen, da Muhammad und seine Söldner sie früher oder später finden würden.
    Sie schaute in Richtung des Klosters auf dem Berg hinauf. Die Sonne verbrannte ihre bleich-weiße Haut, doch schwitzte sie nicht.
    Sie war allein, sie sah keinen Menschen in ihrer Umgebung. Es war Angst einflößend ruhig.
    Sie blieb dort stehen.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     

 
    Barsaumo
     
     
    Isa riss mit all seiner Kraft Siwar zurück, doch es war schon zu spät. Der Wesir lag am Boden. Er wehrte sich nicht. Siwar schrie lauter und lauter. Schließlich konnte der Vater ihn wegzerren. Der Dorfälteste Aljas, Abuna Isa und die anderen Anwesenden schauten dem Schauspiel ungläubig zu.
    Muhammad erhob sich melancholisch. Er klopfte den Staub von seinem Hemd ab. Kein Ton kam aus ihm heraus.
    „Ich bitte Euch untertänigst um Verzeihung, mein Herr. Unser Siwar ist nicht klar bei Verstand“, flehte Isa den Wesir an. Siwar schaute seinen Vater fassungslos an. Er rannte zum Tor, der Abt öffnete es sogleich und der junge Schwachsinnige verschwand dahinter.
    Gespannt warteten alle anwesenden Aramäer und der Arzt Abdullah auf eine heftige Reaktion des Wesirs. Muhammad aber schaute nachdenklich vor sich hin. Abdullah näherte sich

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